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Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom

Titel: Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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hatte, war die gleiche wie die, mit der er heute Morgen Antonias Fensterbild zerstört hatte, und die gleiche, mit der er vor acht Jahren seinen Halbbruder hatte töten wollen. Diese Tat als blutjunger Mann hatte ihn verändert, danach war er nie wieder derselbe gewesen. Obwohl er sich bemühte, war es ihm unmöglich, der unkomplizierte, umgängliche Sandro Carissimi zu werden, der er früher war, ja, es kam ihm vor, als habe er damals eine Schwelle zum Bösen überschritten und einen Fuß in die glühende Hölle gesetzt. Dabei hielt er sich nicht für einen bösen Menschen. Er konnte einen Kranken den ganzen Tag lang, einen ganzen Monat lang pflegen, ohne ungeduldig zu werden; er legte keinen Wert auf Würden oder Reichtümer; und er war fähig, zu lieben. Trotzdem überfiel ihn bisweilen eine ungeheure Hemmungslosigkeit, die er – wie er heute erfahren hatte – vielleicht von seinem Vater geerbt hatte und die zu seinem eigenen Erschrecken immer häufiger zum Vorschein kam.
    Sandro streifte durch die römische Nacht, vorbei an jungen Ragazzi mit dunklen Augen, an huschenden Schatten, schwach glimmenden Laternen und an Bettlern, die ihre armseligen Schlafstätten aufsuchten. Ein milder Wind wehte ihm ins Gesicht. Als er an der Piazza del Popolo ankam, wusste er,
dass das kein Zufall war, sondern dass er die ganze Zeit über, ohne es sich einzugestehen, die Piazza als Ziel gehabt hatte. Hier gab es zwei Dinge, die ihn magisch anzogen.
    Eine Zeitlang blieb er an der Ecke stehen und hoffte, dass er dort, wo Antonias Wohnung lag, ein Licht in den Fenstern sehen würde, wenigstens einen kleinen Kerzenschimmer. Nicht um hinaufzugehen, sondern um vielleicht Antonias Schattenbild für einen kleinen Moment zu sehen.
    Nach einer vergeblichen Weile des Wartens ging er in die Schänke, die er bereits am Morgen aufgesucht hatte. Sie war voller Menschen mit düsteren oder verwunderten Blicken, die an Sandros Ordensgewand auf und ab wanderten. Der Wirt erkannte ihn, wie man einen bunten Hund erkennt, und schenkte ihm einen Becher Rotwein ein, den er ihm wortlos zuschob. Sandro bezahlte und drückte sich in eine Ecke, von der aus er Antonias Fenster sehen konnte.
    Er blieb drei Stunden und sechs Becher Wein lang in der Schänke.
    Doch er sah kein Licht.

12
    Der Todesengel kannte Rom gut, aber am besten kannte er es in der Dunkelheit. In diesem schwarzen Ozean von Häusern, zwischen den Phantomen der tausend Kirchen fühlte er sich heimisch und überlegen. Das Rom des Tages war eine andere Stadt mit anderen Regeln, die mit Geburt und Geld zu tun hatten, mit Würde und Schein. Das nächtliche Rom war eine Arena für das Spiel der Urkräfte – Tod, Leben -, und er verstand sich gut auf das Überleben in dieser Arena.
    Er stieg die schmalen, steilen Stufen zum Palatinhügel hinauf.
Die Ruinen der antiken Größe Roms dienten heute als Steinbruch für die Größe des römischen Christentums. Das Areal war schwer zu überschauen, denn überall ragten Reste von Torbögen oder Wänden zwischen den Wiesen auf. Hier und da lehnte jemand an der Mauer, zumeist Männer, die auf Männer warteten. Sie erkannten – sogar in der Finsternis einer mondlosen Nacht – auf den ersten Blick, ob jemand ihretwegen oder wegen etwas anderem gekommen war. Ihn ließ man in Ruhe, keiner sprach ihn an. Diese Gabe von Menschen gleichen Schlags, sich unter tausend anderen zu erkennen, faszinierte ihn immer wieder aufs Neue. Lustknaben erkannten Lüstlinge.
    Und Mörder erkannten Mörder. Diese Erfahrung hatte er schon oft gemacht. Man geht um eine Ecke, man sieht jemandem in die Augen und weiß: Der ist einer wie du. Irgendetwas Unbändiges lag in den Augen eines Mörders, nur sichtbar für Menschen wie ihn selbst.
    Er bewegte sich mit der Selbstsicherheit und Geschmeidigkeit einer Katze durch die Ruinen. An einer der Mauern blieb er kurz stehen. Dort hatte er vor wenigen Monaten einen Senator getötet, der so unvorsichtig gewesen war, ohne Begleitschutz seiner Lust nachzugeben. Ganz Rom war voller Orte wie diesem, an dem er jemanden umgebracht hatte, an Hauswänden und Brunnen, in Höfen, hinter Säulen und Toren, und wenn er an ihnen vorbeikam, gedachte er des Getöteten, so als stehe er an einem Grabstein auf dem Friedhof alter Verbrechen.
    Am abgelegensten Punkt des Palatins blieb er stehen. Dort, zwischen Geröll, Maulwurfslöchern und kniehohem Gras, versteckte sich ein kaum sichtbarer Sockel aus alten, brüchigen Ziegeln, die niemand mehr verwenden

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