Die Huren des Apothekers
Sie bejammerte ihre Besitztümer, verschwendete nicht einen
Gedanken an die armen Mädchen, die in ihrem Schlafsaal
eingeschlossen saßen und nichts ahnten. Als Einziges bekam Luzia von
ihr heraus, dass der Fürstabt abgereist sei, ohne sie zu empfangen.
Nachdem Luzia sie halb um den Anbau herum gezerrt
hatte, riss die Apothekerin sich los und rannte zum Eingang. Nur
einen Augenblick der Überraschung hielt Luzia still, bevor sie
hinter ihr herlief, aber Mechthild entwickelte eine dermaßen hohe
Geschwindigkeit, dass Luzia nicht folgen konnte, zumal ihr auch noch
vom vorherigen Spurt, nach dem sie Mechthild von Elße trennen
musste, die Seiten wehtaten. So sah sie gerade noch, wie sich die
Haustür vor ihrer Nase schloss. Mit lautem Rumsen schob Mechthild
von innen die Riegel vor. Was hatte diese Wahnsinnige vor? Wollte sie
zusammen mit den Mädchen darinnen verbrennen? Vergeblich pochte
Luzia gegen das schwere Holz und rief, niemand antwortete ihr.
Wie sollte ein Mensch das verstehen? Luzia
schüttelte fassungslos den Kopf. Was nun? Sie konnte doch unmöglich
die Mädchen dort oben verbrennen lassen! So schnell sie konnte,
rannte sie zur Rückseite des Hauses und stellte sich unter die
Fenster zum Schlafsaal. Zum Glück ahnte man hier noch nicht einmal
den Brand. Drei mit Holzläden verschlossene Luken gab es dort. Wer
immer von oben heruntersprang, brach sich mindestens die Beine. Das
Mauerwerk bot Händen und Füßen so viel Halt, dass Luzia keine
Schwierigkeiten hätte, hoch oder herunter zu klettern, jedoch wusste
sie, dass kaum jemand sonst ihre Fähigkeiten besaß.
»Heda!«, rief sie und suchte in ihrem Gedächtnis
nach dem Namen einer der Frauen. Nur an Elße konnte sie sich
erinnern, alle anderen waren ihr gar nicht vorgestellt worden. Sollte
sie Alarm schlagen und laut brüllen, dass es brannte? Auf gar keinen
Fall. So säte sie Panik unter den Mädchen und einige würden sich
gar aus dem Fenster stürzen. Nein, eine von ihnen musste ruhig
vorangehen und unten die Riegel öffnen. Um das Schloss konnte Luzia
sich von außen kümmern, aber an den Riegeln kam sie nicht vorbei.
»Maria!«, war der häufigste Name, weshalb sich
bestimmt eine der Frauen angesprochen fühlen würde. Vier Mal musste
sie rufen, bevor sich oben etwas regte. Der Laden öffnete sich, ein
brauner Schopf verdeckte halb ein verschlafenes Gesicht.
»Was, im Namen aller Heiligen, gibt es zu dieser
unchristlichen Uhrzeit?«
»Maria?«, fragte Luzia nach. Sie hatte das
Mädchen bei denen gesehen, die in ihrem Garten gearbeitet hatten.
»Kannst du herunterkommen?«
Die junge Frau rieb sich die Augen. »Frau Luzia?
Herrgott, was gibt es? Was machst du dort unten?«
»Komm bitte herunter, Maria!«
Der Schopf verschwand, der Laden schloss sich
wieder. Wie dumm, das verzögerte die Rettung der anderen! Luzia
konnte es nicht erwarten, sie alle herauszuführen. Sie wandte sich
zur Hausecke, um Maria am Eingang abzufangen, da klapperte schon
wieder oben der Laden.
»Gnädige Frau, bitte!« Maria schaute erneut
heraus. Luzia ging zurück und sah zu ihr hoch. »Frau Luzia, die Tür
ist verschlossen. Ich kann nicht herunterkommen.«
Siedend heiß fiel Luzia ein, was Elße berichtet
hatte: Nachts schloss Mechthild die Tür zum Schlafsaal ab, und
genauso hatte der Apotheker es auch gehalten. Was nun? Wie Luzia
Mechthild kannte, war auch die Tür zum Schlafsaal so massiv, dass
keines der Mädchen sie aufbrechen konnte. Und wenn Luzia
hochkletterte und das Schloss mit ihrem Dietrich öffnete?
Nein, unmöglich. Sie war die gnädige Frau, die
Gattin des Gelehrten, die Gebieterin des Herrenhauses, da durfte sie
nicht die Fassade erklimmen und Diebeswerkzeug benutzen!
»Bleib, wo du bist, Maria. Ich hole eine Leiter.
Geh auf keinen Fall fort. Schwöre es mir!«
Verständnislos schüttelte die Braunhaarige den
Kopf, dann nickte sie. »Gerne, Frau Luzia. Ich warte hier.«
Inständig hoffte Luzia, dass Maria es tatsächlich
tat, denn sie hatte keine Lust, auf einem wackeligen Gestänge
herumzuturnen, um den Laden aufzubrechen. In dem Schuppen mit dem
Handwagen gab es eine Leiter, gut versteckt, um nicht als
Belagerungswerkzeug missbraucht zu werden. Allmählich machte sie
sich Sorgen, ob sie es rechtzeitig schaffte, alle Mädchen zu retten,
doch sie tröstete sich mit Mechthilds Vorkehrungen. Die Tür
zwischen Anbau und Haupthaus war so massiv wie die Eingangstüren. Es
würde einige Zeit dauern, bis ein Feuer durch die hindurchbrach.
Tatsächlich
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