Die Huren des Apothekers
du?«, nuschelte Wendelin mit einem Grinsen, bei dem er all seine abgebrochenen Schneidezähne entblößte und die imposante Zunge sich wie eine Nacktschnecke dahinter wand. Dabei war er es doch, der ständig vor sich hin stierte, wenn man ihm keine Beschäftigung gab.
»Ich male mir nur aus, wie ich dir die freche Zunge herausreiße«, antwortete Frank mit grimmigem Gesichtsausdruck.
Sofort fiel Wendelin das Lachen aus dem Gesicht, der Unterkiefer sackte herunter und er zog das Genick ein. Beim Versuch, seinen Kopf zu schützen, ließ er Bürste und Rad fallen, wobei ihm das Rad auf die Zehen knallte. Heulend schlug er um sich, bis er den Schuldigen erkannte und mit einem ungeschickten Tritt bedachte. Das Rad landete auf der Nabe und kreiselte um die eigene Achse. Zornig kniff Wendelin die Schlitzaugen zusammen und hüpfte auf einem Bein, um seinen Fuß zu halten.
Frank schüttelte unangenehm berührt den Kopf und kletterte die Leiter herunter. Mit einer so heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. »Wendelin, du bist so blöde, dass die Engel weinen. Glaubst du wirklich, dass ich dir wehtun will?«
»Ä-ä«, stieß der Schwachsinnige heraus und starrte schuldbewusst auf seine Füße. Ein Holzschuh lag eine Spanne neben ihm, aus Schmerz davongeschnickt, und nun bewegte er seine nackten Zehen, die schon rot anliefen. Ob er gar einen Zehenknöchel gebrochen hatte? Das große, schwere Rad war zu diesem Zweck gebaut. Frank schaute genauer hin. Matsch quoll zwischen den Gliedern hervor, tief gruben sich die Zehen in den aufgeweichten Boden – sie bewegten sich ganz normal, also schien nichts gebrochen zu sein. Das beruhigte Frank, denn auch wenn ein verlorener Zeh kein großes Unglück bedeutete, behagte ihm der Gedanke nicht, für Wochen einen bei jedem Schritt jammernden Wendelin um sich zu haben.
»Pass besser auf, wenn du mit so schweren Sachen hantierst«, riet er ihm, worauf der Gehilfe mit weit aufgerissenen Augen nickte.
In der rechten Umgebung hätte der Bursche ein lieber Kerl werden können, aber die ungehobelten Henkersknechte machten sich ihre Späße mit ihm und trieben ihn oft dazu, sinnlose Zerstörung und Gewalt auszuüben. Sie neckten ihn solange, bis seine rohen Körperkräfte etwas zerstört hatten, woraufhin sie ihn zur Strafe schlugen. An einem Abend in der Schenke, kurz nach Franks Ankunft in Marburg, konnte Wendelin den Knüffen und Püffen seiner Begleiter nicht ausweichen und zerbrach vor Wut laut kreischend einen Holzkrug in seinen Pranken. Das aufschäumende Bier lief über die Tischplatte und tropfte auf Franks Hose. Erst dann war der Scharfrichter eingeschritten, hatte aber nicht seine Knechte gemaßregelt, sondern Wendelin so heftig das Ohr herumgedreht, dass es blutete. Unter Gelächter der anderen zerrte er den heulenden Burschen am Ohr vor die Tür und stieß ihn in die Gosse, wo er den Rest der Nacht verbrachte. Dem Geringsten unter den Henkersknechten erging es selten besser.
»Bring das Rad zum Schuppen und lehne es an die Hinterwand, dorthin, wo es nicht im Regen steht. Und zieh dir vorher wieder den Schuh an.«
Grinsend, als ob nie etwas vorgefallen sei, nickte Wendelin und schlüpfte mit dreckstarrendem Fuß in seinen Holzschuh, bevor er unmelodisch ein Kirchenlied vor sich hin summend das Rad die Böschung hinunter rollte. Der Kerl lebte schon zwischen den Henkersknechten, seit er noch nicht über die Tischkante schauen konnte, von seiner Mutter als Wechselbalg verstoßen. Wie üblich wollte sie das Kleine Volk dazu bewegen, ihr Kind zurückzutauschen, indem sie es schlug und hungern ließ, jedoch auch nach Monaten lag jeden Morgen das Dämonenkind in der Wiege und nicht der wohlgestaltete Säugling, von dem sie bei allen Heiligen schwor, ihn zur Welt gebracht zu haben. Da sie schon einmal der Kindstötung bezichtigt war und deshalb die Obrigkeit ein Auge auf sie warf, traute sie sich nicht, das missgestaltete Kind zum Abfall zu werfen. Zuerst hatte sie darauf gehofft, dass der Junge beizeiten starb, was sich aber nicht erfüllte, weshalb sie ihn einem fahrenden Händler mitgab. Gegen wenige Goldstücke verkaufte der ihn, sowie der Kleine etwas tragen konnte, dem Scharfrichter, der Helfer brauchte, die nicht viel nachfragten. Ottmar hatte ihn sogar gegen entsprechendes Salär vom Pfarrer taufen lassen, weshalb der Trottel den Gottesdienst besuchen durfte, was er auch tatsächlich gerne tat.
So erledigte Wendelin stets alles, was man ihm auftrug, zumindest dann, wenn
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