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Die Hurenkönigin (German Edition)

Die Hurenkönigin (German Edition)

Titel: Die Hurenkönigin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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zusammengekniffenen Augen hinüber zu dem Lichtspalt am Fenster, der sich zwischen den zugezogenen Vorhängen abzeichnete. Es war jedenfalls noch nicht dunkel, also hatten die Apotheken noch geöffnet. Hoffentlich, dachte sie und kleidete sich mit fahrigen Händen an. Notdürftig fuhr sie sich mit dem Kamm durch die strähnigen Haare, schlang sie zum Knoten und steckte sie hoch. Nach einem flüchtigen Blick in den Spiegel beschloss sie, auf weitere Verschönerungsversuche zu verzichten. So schrecklich, wie sie aussah, wären die sowieso vergeblich. Außerdem hatte sie weder Lust noch Zeit, sich mit solchen Lappalien aufzuhalten.
    Dennoch schämte sie sich, als sie gleich darauf auf den Flur hinaustrat. Wenn die Mädels sie in so einem Zustand sahen! Von der stolzen Hurenkönigin war nur noch ein Wrack übrig geblieben, das war ihr nur allzu bewusst, und für einen flüchtigen Moment hätte sie am liebsten losgeheult. Sie fühlte sich unsagbar einsam und verlassen. Als kurz darauf eine der Türen aufging und die alte Irmelin heraustrat, konnte Ursel nicht mehr an sich halten und fing hemmungslos an zu weinen.
    Die alte Hure ging auf sie zu und umarmte sie. Obgleich ihr selber die Tränen über die Wangen liefen, suchte sie die Hurenkönigin zu trösten.
    »Arme Meistersen«, murmelte Irmelin. »Wie kann ich Euch nur helfen?«
    Ursel war außerstande, etwas zu entgegnen, sie ergab sich ihren Tränen, die einfach nicht mehr abebben wollten. Es war ihr, als wäre plötzlich der Kokon geborsten, den das Leid und die Droge um ihre Seele gesponnen hatten, und die dumpfe Trauer, die sie die ganze Zeit gelähmt hatte, brach sich Bahn und sprengte alle Dämme.
    Immer mehr Huren kamen aus ihren Zimmern herbeigeeilt und scharten sich um die Gildemeisterin. Von allen Seiten spendeten ihr die Frauen Trost und Anteilnahme. Für die Huren war es selbstverständlich, der Frau, die all die Jahre für sie da gewesen war, nun ihrerseits beizustehen, und Ursel kehrte langsam wieder ins Leben zurück.
    »Dass ihr mich so sehen müsst …«, murmelte sie schniefend und schlug vor, gemeinsam nach unten in den Schankraum zu gehen.
    Die alte Irmelin hakte sich bei der Hurenkönigin unter. »Dort esst Ihr erst mal einen Teller Suppe, damit Ihr wieder zu Kräften kommt – so dürr, wie Ihr geworden seid!«
    Ursel, die gar nicht mehr wusste, wann sie zum letzten Mal etwas gegessen hatte, verspürte tatsächlich ein bohrendes Hungergefühl – aber auch ein unbändiges Verlangen nach Theriak. »Ich … ich brauche meine Himmelsarznei«, sagte sie hektisch.
    »Habt Ihr noch was in Eurem Zimmer? Soll ich es holen?«, erkundigte sich die alte Irmelin.
    »Nein, das Fläschchen ist leer«, sagte Ursel zerknirscht. »Ich brauche ein neues.«
    »Dann schicken wir den Hausknecht los, dass er Euch was holt. Seit wir geschlossen haben, liegt der doch sowieso den ganzen Tag auf der faulen Haut«, erwiderte die Dienstälteste mit grimmiger Miene und blickte sich suchend nach Stückrath um. Sie entdeckte ihn hinter dem Schanktisch, wo er gerade dabei war, drei Bier zu zapfen.
    »Stückrath, komm mal her!«, röhrte Irmelin durch den Schankraum.
    Der Frauenhausknecht tat so, als hätte er nichts gehört, und fuhr unbeirrt mit dem Bierzapfen fort.
    Ursel, die sich ebenso wie Irmelin über seine Sturheit ärgerte, fuhr ihn an: »Für wen zapfst du denn überhaupt das Bier? Ich sehe nicht, dass wir Gäste haben.«
    »Das wird wohl auch schwerlich möglich sein«, grummelte der Hausknecht aufsässig. »Denn wie Ihr vielleicht wisst, haben wir auf absehbare Zeit geschlossen. Oder ist Euch das in Eurem Tran vielleicht entgangen …« Er bedachte die Hurenkönigin mit einem hämischen Grinsen.
    Obgleich Ursel noch sehr angeschlagen war, obsiegte in diesem Moment doch ihr alter Schneid. Sie stemmte sich am Tisch hoch und eilte auf unsicheren Beinen zum Tresen. Ihre schwarzen Augen funkelten vor Zorn, als sie Stückrath ins Gesicht schrie: »So sprichst du nicht mit mir, du Tropf! Pack sofort deine Sachen und verschwinde. Ich will dich hier nicht mehr sehen!«
    Stückraths feistes Gesicht war vor Zorn gerötet. »Du hast mir gar nix zu sagen, du alte Schabracke!«, raunzte er und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Mein Dienstherr ist der Bürgermeister, und der sagt mir, was ich zu tun und zu lassen habe …«
    »Was geht hier vor?«, war plötzlich die tiefe Stimme des Henkers zu vernehmen, der gerade eingetreten war und Stückraths letzte

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