Die Hurenkönigin (German Edition)
Henkerstradition, dass ich sie danach frage«, erklärte Meister Jerg. »Und wisst Ihr, was sich die Schwester gewünscht hat? – Darauf kommt Ihr nie, Zimmerin!«
Die Hurenkönigin blickte ungeduldig zur Tür. Wo nur Irmelin mit dem Theriak blieb?
Gerade, als die alte Hure mit dem Theriakfläschchen zurückkehrte, erklärte der Henker laut: »Sie will Euch sehen, Zimmerin! Das hat sie sich ausdrücklich erbeten, auch wenn sie von der Folter mehr tot als lebendig ist. Ich habe mir gedacht, ich sag es Euch halt, weil das ja auch meine Pflicht ist. Ob Ihr diesem Wunsche Folge leistet, ist natürlich Eure Sache, Zimmerin …«
Die Hurenkönigin, die Irmelin das Arzneifläschchen aus der Hand gerissen und sogleich einen tiefen Schluck genommen hatte, starrte Meister Jerg aus glasigen Augen an. »Sie will mich sehen?«, fragte sie fassungslos. »Was … was will sie denn von mir?«
»Das kann ich Euch nicht sagen, Zimmerin. Ich vermute, sie will mit Euch reden und Euch um Verzeihung bitten. Sie gibt sich ganz reumütig. Vorhin hat sie nach einem Priester verlangt, um ihre Sünden zu beichten. Was weiß ich, was in ihrem verrückten Kopf so alles rumspukt. Ich für meinen Teil, Zimmerin, würde jedenfalls nicht im Traum daran denken, das Aas aufzusuchen!« Der Scharfrichter schmetterte voller Empörung seine Faust auf die Tischplatte.
Die alte Irmelin pflichtete ihm bei: »Geht bloß nicht zu der, Meistersen! Wer weiß, was dieses Weibsstück vorhat. Am Ende verflucht sie Euch noch!« Sie musterte Ursel kummervoll. »Bleibt lieber hier bei uns und nehmt brav Eure Medizin. Es wird ja auch schon dunkel.« Sie spähte aus dem Fenster. »Und regnen tut es auch noch! Da bleibt Ihr schön mit Euerm Arsch daheim, Meistersen. Glaubt mir, das ist in Eurem Zustand das Beste …«
Ursel rang schwer mit sich. Einerseits fühlte sie sich noch sehr schwach und sehnte sich nach ihrem Bett und der einschläfernden Wirkung des Theriaks. Andererseits drängten sie Pflichtgefühl und Neugier, Theodora aufzusuchen, obgleich ihr die Nonne zutiefst zuwider war.
Entschlossen erhob sich die Hurenkönigin von ihrem Stuhl. »Ich gehe jetzt dahin«, sagte sie mit gepresster Stimme zu der Dienstältesten.
Nachdem sie ihren hellgrauen Kapuzenumhang vom Haken an der Wand genommen, ihn umgelegt und das Theriakfläschchen sorgsam in einer der Seitentaschen verstaut hatte, hob sie noch einmal betreten den Kopf. »Seid mir bitte nicht böse, Mädels, aber ich muss es tun.«
Als Ursel schon an der Tür war, vernahm sie die Stimme des Henkers, der bärbeißig anbot, sie zum Brückenturm zu begleiten.
Ursel fröstelte es, als sie hinter dem Henker den alten Gefängnisturm auf der Sachsenhäuser Seite der Mainbrücke betrat. Noch nie hatte sie ein Gefängnis von innen gesehen, und schon der Gestank von fauligem Stroh und Blut, vor allem aber das laute Wehklagen, das beim Erklimmen der Wendeltreppe immer durchdringender wurde, bereiteten ihr großes Unbehagen. Als sie den Gefangenenraum erreicht hatten und an den in Ketten gelegten Gestalten vorbei zu den separaten Kerkern der Todeskandidaten eilten, verschlug es Ursel förmlich den Atem. Sie sah Männer und Frauen, die mit leeren Augen vor sich hin starrten oder verzweifelte Schreie von sich gaben, die ihr durch Mark und Bein gingen.
Der Henker, der Ursels erschrockene Blicke gewahrte, erklärte ihr, dass man auch Kranke, die von Sinnen waren und von ihren Angehörigen zu Hause nicht mehr betreut werden konnten, hier aufbewahrte – mitunter sogar ungeratene Kinder. Ursel schüttelte entsetzt den Kopf und betete im Stillen für die armen Kreaturen, während sie das Theriakfläschchen in der Seitentasche ihres Gewandes mit schweißnasser Hand fest umklammert hielt.
Meister Jerg nahm eine Fackel aus der Wandhalterung und bog in gebückter Haltung in einen niedrigen Gang ein. In den Mauernischen befanden sich mehrere Kerker, deren Türen mit Eisenstangen vergittert waren. Der Henker trat an eine der Türen heran und öffnete sie.
»Wenn Ihr wollt, Zimmerin, kann ich bei Euch bleiben«, raunte er der Hurenkönigin zu, »aber ich glaube, von der kann keine Gefahr mehr ausgehen …«
Die Kerkerzelle war in das flackernde Licht einer Talgkerze getaucht, die auf einem Tisch stand. Daneben befanden sich außerdem noch ein Holzteller mit Speisen, ein Kanten Brot sowie ein Weinkrug mit einem Trinkbecher. Vor den Tisch war ein Stuhl gerückt.
»Die Henkersmahlzeit«, erläuterte Meister Jerg. »Die
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