Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
ihrer Arbeit hochzublicken.
"Du fragst nicht, was er wollte?"
Nun sah Pilar auf, und es war ein erschreckend fremdes Gesicht, das Evita ansah. Ein wenig bleicher schien es als gewöhnlich. Evita wusste nicht, was die alte Paruta ihrer Mutter gesagt hatte.
Nun lachte die Leona. Es wär ein kurzes, herbes und bitteres Lachen.
"Was will ein Mann wie Don Felipe schon", fragte sie.
"Aber du warst nicht hier!", rief Evita aus.
„ Eben“, sagte Pilar scheinbar gelangweilt. "Deshalb wird er auch wieder gegangen sein. Können wir bleiben?"
,,Ja", sagte Evita.
"Gut", brummte Pilar. "Dann ist es gut. Aber vielleicht werden wir doch von hier fortgehen!“
"Wohin?", fragte Evita erschrocken. "In ein anderes Dorf?"
"Vielleicht nach Mexiko-Stadt“, sagte Pilar sinnend. "Dorthin, wo uns keiner kennt. Gewiss, es gibt Putas dort wie Sand am Meer, wie Lichter in den Häusern, und ich bin nicht mehr jung. Aber ich könnte in einem Restaurant arbeiten. Und du könntest Verkäuferin werden, oder in einem Büro arbeiten. vielleicht auch in einem Haushalt."
"Hör auf zu träumen!", sagte Evita ungewöhnlich hart zu ihrer Mutter. Sie sagte es wohl deshalb so, weil sie heute mit der kalten Realität konfrontiert worden war, weil sie in aller Deutlichkeit begriffen hatte, was es bedeutete, eine Dirne zu sein. Einmal Dirne, immer Dirne. Es führte kein Weg mehr aus diesem Tal, aus dieser teuflischen Schlucht. Aber Pilar ahnte wohl nichts von den Gedanken ihrer Tochter. Die Leona zog nur die immer noch sehr hübschen Brauen hoch.
,Ich weiß", sagte sie dann. "Es ist ein Traum, und es wird auch wohl einer bleiben. Es wäre schön gewesen, hättest du diesen Traum mit mir geteilt!"
,Das kann ich nicht, Mama“, erklärte Evita. "Möchtest du ein wenig Wein?"
„Ja“, sagte Pilar, Ihre Stimme klang anders als gewöhnlich. Sie klang dunkler, und es lag etwas Fremdes darin.
„ Mama?“
„ Ja, Cariña?", fragte Pilar.
"Hast du meinen Vater eigentlich geliebt, oder hast du es für Geld getan? Ich meine, wieviel Geld hast du bekommen, um mich in Kauf zu nehmen?"
„lch habe keine Pesos für dich bekommen“, erklärte Pilar. "Ob ich deinen Vater geliebt habe, weiß ich nicht. Ich habe zuviel erlebt, um mich zu erinnern, wie es ist, wenn man liebt. Ich kann es dir nicht mehr sagen. Aber ich glaube, ich habe dich gewollt. Sonst hätte ich dich vermutlich ausgesetzt, wie es die meisten Putas mit ihren Kindern tun. Dich liebe ich, aber es ist eine andere Liebe als die, die man für einen Mann hat. Bei der Liebe zu einem Mann ist immer der Körper dabei. Alles andere ist Unsinn. Daher ist vielleicht die Liebe auch Unsinn, denn mein Körper macht doch alles mit, ohne zu lieben!"
"Vielleicht hast du recht!"
"Sicherlich", sagte Pilar. "Ich habe geglaubt, du würdest es nie so erleben wie ich. Immer habe ich gedacht, du könntest anders werden als ich!"
"Aber ich bin anders!"
"In gewisser Weise vielleicht", gab Pilar mit einem Lächeln zu. "Doch im Grunde bist du wie ich. Und nun geh und hol den Wein! Du kannst dir auch einen nehmen, auch einen Brand*, wenn du magst!"
"Aber du hast immer gesagt, ich sei zu jung."
"Das habe ich!", erklärte La Leona. "Heute musst du trinken! Manchmal kann man das Leben nur so ertragen."
"Wie meinst du das?", fragte Evita befremdet, und sie hatte plötzlich alle Mühe, die Tränen zurückzuhalten, die ihr heiß und brennend in der Kehle hochstiegen.
"Frag mich nicht, wie ich es meine", sagte Pilar hart. "Hol Wein und Brand*, und wenn du dich heute besäufst, so werde ich nicht schimpfen."
Evita trank. Sie hatte bisher kaum Alkohol genossen. Als die Sonne hinter den blauen Bergen unterging und die Schatten lang geworden \waren, konnte Evita kaum noch die Augen aufhalten.
Sie war betrunken.
"Du - du hast recht - Mama ...", lallte sie. "Alle Männer sind Schweine, und das größte
Schwein - ist - Felipe. Er ist ein stinkendes Schwein, ein Stück Dörrfleisch, eine knochige
Ratte ..."
"lch weiß", sagte Pilar, und ihre dunklen Augen wurden nass. Sie streichelte Evita. "Es ist genug, mein Kleines! Ich bringe dich zu Bett!"
"Ich will nicht - ins Bett!", stieß Evita eigensinnig hervor. "Lass uns zu Franco gehen und weitersaufen und ..."
"Es ist genug!", bestimmte Pilar.
"Ach!", schrie Evita plötzlich. Der übermäßige Alkoholgenuss machte sie gereizt, genau, wie Pilar gereizt war, wenn sie viel getrunken hatte. Dann durfte man ihr auch keinerlei Vorschriften machen und musste sie in Ruhe
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