Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
Mannes, der ihre Tochter befleckt hatte. Don Felipe hatte das einzig Wahre und Wertvolle, das es im Leben der Leona gab, besudelt. Dafür musste er bestraft werden. Er sollte mit dem Leben bezahlen, gleichwohl welche Konsequenzen das für Pilar auch immer haben würde. Es gab nichts, was die Löwin jetzt noch von ihrem Plan hätte abbringen können. Pilar verstand es, das Geheul eines Kojoten treffend nachzuahmen, und genau das tat sie nun. Es schien keine Hunde hier zu geben, aber die Pferde drüben im Stall wurden unruhig, traten gegen die Boxen, und einige der Tiere wieherten laut. So wollte es Pilar, und als drinnen im Haus endlich Licht aufflammte, verzerrte ein hasserfülltes Grinsen das Gesicht der Dirne. Pilar verbarg sich hinter einer Säule. Dann hörte die Frau, wie drinnen im Haus halblaut geflucht wurde. Das musste Don Felipes Stimme sein, die ärgerlich schimpfte. Doch genau erkannte sie Pilar nicht. Ihr Verstand war klar, die Sinne scharf, aber doch zu sehr auf das Ziel gerichtet, um noch Nuancen wahrnehmen zu können. Dann wurde die Haustür geöffnet. Ein schlanker Mann trat heraus. Er trug eine Blendlaterne, denn über der Sierra war dunkles, Regen kündendes Gewölk aufgezogen und verfinsterte den Mond.
Weit draußen in der Ebene jagten Wolkenschatten über das bleiche Land. Der Mann mit der Laterne trat über die hölzernen Stufen der Veranda, die unter den Stiefeltritten leise ächzten und knarrten. Da schoss Pilar hinter der Säule hervor. In ihrer Rechten schimmerte bläulich der Stahl des Messers, das sich nun hoch über ihrem Kopf, über die schwarze Mantilla erhob.
"Da!", keuchte Pilar, indem sie zustach. "Du Schwein! Nie wieder wirst du ein Mädchen schänden! N i e - n i e - n i e ..."
Wie eine Wahnsinnige stach sie auf ihn ein. Der Mann war längst zu Boden gegangen und Pilar fühlte es warm über ihre Hände rinnen. Noch immer tobte ihr Zorn. Bei jedem Wort holte sie aus. Sie bemerkte nicht die Frau, die nun in die Tür getreten war. Laut gellte nun der Schrei Doña Margaritas durch die Nacht. ,,Zu Hilfe! Hilfe!"
Pilar sah auf. In einem weißen Nachtkleid stand Doña Margarita in der Tür. Das lange, angegraute Haar fiel über ihre Schultern, und ihre Augen waren weit aufgerissen.
Nacktes Entsetzen stand darin. Da warf Pilar das Messer fort und rannte die Z*pressenallee hinunter. Mit hämmerndem Herzen jagte sie durch niedriges, dorniges Gestrüpp, bis sie irgendwo völlig erschöpft in die Bodenmulde sank. Sie wusste, dass man zweifelsohne ihre Verfolgung aufnehmen würde. Aber Doña Margarita konnte sie nicht erkannt haben. Die Patrona hatte Pilar nur einmal aus der Ferne gesehen. Und die Männer, die aufgetaucht waren, kannten Pilar auch nicht. Es waren Gauchos, die oft den Arbeitsplatz wechselten. So betrachtet, fühlte sich Pilar ziemlich sicher.
Ganz in Sicherheit war sie erst in ihrem Haus. Und ruhig würde sie erst wieder, wenn sie ein großes Glas Brand* getrunken und sich eine Zigarette angesteckt hatte. Sie würde einige Stunden schlafen und morgens die schreckliche Nachricht erfahren, ihre Sachen zusammenpacken und mit Evita ins Nichts verschwinden, aus dem sie einst nach Alezcana gekommen war. Sie würde nicht mehr so viel besitzen, dafür aber leben. Das erschien ihr wichtig, sie hatte getan, was nach ihrer Moralauffassung notwendig war.
*
Pilar nahm einen Brand* und rauchte eine Zigarette. Dann wusch sie sich. Auf einmal störte sie das Blut an ihren Händen. Die Erregung, die Rachsucht war abgeklungen, eine sonderbare Nüchternheit breitete sich nun in ihr aus. Das feine Leben war nun vorbei. Sie war nicht mehr die "Puta especiale"... Sie war eine alternde Dirne ohne jegliche Hoffnung und gänzlich ohne Illusionen. Sie war fertig, war am Ende. So sah Pilar es in diesem Augenblick. Sie nahm einen weiteren Brand* und rauchte noch eine Zigarette. Sie trank weiter und musste heulen. Es war wohl der Alkohol, der dieses Gefühl der Verlorenheit in ihr auslöste. Sie kam sich schlecht und erbärmlich vor. Wäre Evita nicht, würde sie sich jetzt selbst wohl ein Messer zwischen die Rippen stoßen. Aber ihre Tochter vergaß die Dirne nicht. Vieles konnte sie vergessen, übersehen oder gar aus ihrem Leben streichen, aber niemals Evita, die Tochter war ein Teil von ihr selbst. Nur für Evita lebte Pilar. Und wenn es sich als notwendig erwies, würde sie wohl auch für Evita sterben. Irgendwann in der sogenannten Madrugada, in der Zeit, in der es nicht mehr Nacht,
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