Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
lassen.
"Ich mache, was ich will!", fuhr Evita fort. "Ich bin eine - Dirne! Wusstest du das nicht? Du – du sollst es wissen ..."
"Schweig!", brüllte Pilar und presste sich die Hände auf die Ohren.
Evita riss ihrer Mutter die Hände herunter. "Er hat es mit mir gemacht!", keuchte sie. "Er hat mich nicht geschlagen. Er ist wie ein Karnickel auf mir herumgesprungen, wie ein dürrer Köter, der auf die Hündin steigt!"
Da schlug Pilar ihre Tochter ins Gesicht. Evita prallte zurück. Dann füllten sich die großen,
meerblauen Augen mit Wasser. Und schließlich schlang Evita mit einem wilden Schluchzen ihre Arme um Pilars Hals und stammelte alles an Ordinärem hervor, was ihr Don Felipe gesagt hatte. Der Damm war gebrochen, die Flutwelle der Gefühle überschwemmte alles. Und Pilar ließ dieser Woge freien Lauf, bis sie schließlich in einem Schluchzen verebbte. Dann nahm die große, kräftige Frau ihre zarte Tochter auf den Arm und trug sie hinauf. Dabei ruhte ihr Blick auf dem Gesicht, auf den letzten Tränen, die noch unter den geschlossenen Wimpern hervorquollen und den Schmerz mitnahmen in den Traum, in den Schlaf, dem ein bitteres Erwachen folgen würde. Pilar bettete ihre Tochter auf das weiße Leinen. Wie eine kleine Heilige lag sie da. Sie, die heute durch die Hölle gegangen war, deren Lebensknospe aufgebrochen worden war, und das vor der Zeit und vom falschen Mann, wie es Pilar erschien.
"Das hat er nicht umsonst getan, kleine Evita!" sagte sie. "lch habe einen Eid geschworen, und ich werde meinen Schwur halten! Ich mache ihm alles kaputt, alles!"
Sorgfältig deckte Pilar ihre Tochter zu. Hinter den Hügeln von Aleguida glühte die rote Sonne.
Dieses Rot überhauchte das Gesicht der Pilar Soltano, und die Löwin in ihr erwachte. Mit leisen Schritten ging Pilar nach unten. Jetzt war sie nicht mehr die schwere, scheinbar so ungelenke Frau. Jetzt wirkte sie geschmeidig und katzenhaft, und ihr Gesicht hätte einem Betrachter alle Rätsel der Welt aufgegeben. Es war offen und doch verschlossen, ein Zug von Hass mischte sich mit einem merkwürdigen Lächeln. Und hinter all ihrer scheinbaren Ruhe stand eine drängende, eine treibende Kraft, getragen von einem unermesslichen Durst nach Rache. Pilar zündete eine Lampe an.Dann schenkte sie sich einen Brand* ein, der sich wie dunkles Öl an den Glasrändern absetzte.
Die Frau schwenkte das Glas, hielt es eine Zeitlang in den Händen und gab ihre natürliche Körperwärme an das Getränk weiter. Dann hob Pilar das Glas, setzte es an die Lippen und bog den Kopf zurück. Mit langsamen Schlucken leerte sie das Glas bis zur Neige und stellte es langsam auf den Tisch zurück. Dann ging sie in die Küche, die sehr dürftig eingerichtet war. Neben dem gemauerten Herd gab es eine Anrichte aus dunklem Holz Pilar öffnete ohne Zögern eine Schublade. Im letzten, verlöschenden Tageslicht blinkten Messerklingen.
Da schloss die Leona wieder die Augen, schließlich griff ihre Hand in die Lade und erfasste ein Messer. Es hatte eine lange, schmale Klinge und einen Griff aus dunklem Holz. Mit dem Daumen überprüfte Pilar die Schärfe des Messers. Sie nickte befriedigt. Weit war der Weg über die endlose Sierra. Doch die Leona hatte Zeit bis zur Madrugada, dem Morgengrauen. Viel Zeit für all ihre Gedanken und Zeit für den Hass, für den grausamen Plan, der aus dem gewachsen war, was Pilar gesehen hatte, nachdem sie aus Alezcana in ihr Haus zurückgekehrt war.
Pilar schloss die Augen. Sie sah Don Felipes mageren Leib, der an ein gedörrtes Tabakblatt erinnerte. Sie sah diesen Körper in seinen Bewegungen, hastig, tierhaft.
Und sie sah Evita, das Opferlamm. Mochte es Evita so ergangen sein, als sie den Raum betreten hatte, in dem Pilar das sadistische Spiel des Don Felipe ertragen musste?
Schreien hatte Pilar wollen! Schon auf der Treppe hatte sie es gehört, dieses wohlbekannte Grunzen und Keuchen. Sie war hinaufgelaufen, hatte die Tür ein Stückchen aufgestoßen und alles gesehen. Vor Entsetzen war ihr das Blut erstarrt, taumelnd hatte sie Halt gesucht. Don Felipe war ganz bei der Sache!
Nur Sekunden war Pilar für die Entscheidung geblieben. Sie hatte sich dazu entschlossen, wieder zu gehen. Ihr Eingreifen würde nichts mehr nützen, das Schlimmste war ja bereits geschehen.
"Geh' mir nicht an das Mädchen!", hatte sie immer zu Don Felipe gesagt, als sie seine gierigen Blicke bemerkt hatte.
"Ich werde es nie und nimmer zulassen, dass ein Mann sie berührt! Sie soll
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