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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ausgefallenen Teile zum Vakuum hin offen. Ich konnte noch denken. Die Herrschaft über die rechte Körperseite hatte ich bald wieder. Nur die Sprachzentren waren ohne weiteres nicht mehr wiederherzustellen. Der wunderbare organische Computer in meinem Schädel hatte den Sprachgehalt einfach wie ein schadhaftes Programm gekippt. Die rechte Hemisphäre war nicht ganz ohne Sprache – aber lediglich die emotional aufgeladensten Kommunikationseinheiten waren in dieser Affekthemisphäre beheimatet; mein Vokabular bestand aus neun Worten. (Das, erfuhr ich später, war außergewöhnlich; viele Opfer von Hirnschlägen beherrschen nur noch zwei oder drei.) Fürs Protokoll nachfolgend mein gesamtes Vokabular aussprechbarer Worte: Fick, Scheiße, Pisse, Fotze, gottverdammt, Wichser, Arschloch, Pipi und Kaka.
    Eine rasche Analyse zeigt hier einige Unzulänglichkeiten. Mir standen acht Substantive zur Verfügung, die sechs Dinge bezeichneten. Mein neues sprachliches Universum bestand aus einem einsilbigen Substantiv und zwei Ausdrücken der Kinder spräche. Meine Möglichkeiten, mich auszudrücken, beschränkten sich auf zwei Anspielungen auf die menschliche Anatomie, eine Bitte um göttliche Strafe, eine Standardbeschreibung von oder eine Bitte um Koitus und eine Abart sexueller Tätigkeit, die ich aufgrund von Nervenstörungen momentan auch nicht selbst an mir ausführen konnte.
    Alles in allem genug.
    Ich will nicht sagen, daß ich mich meiner drei Jahre in den Schlammgruben und verschleimten Elendsvierteln von Heaven's Gate mit Freude erinnere, aber es stimmt, daß diese Jahre mindestens ebenso prägend – wahrscheinlich prägender – als meine vorangegangenen zwei Jahrzehnte auf der Alten Erde waren.
    Ich fand bald heraus, daß mir mein Vokabular bei meinen intimsten Bekannten – Schlammsack, dem Baggerführer; Unk, dem Hinterhofschläger, dem ich mein Schutzgeld bezahlte; Kiti, der verlausten Kindernutte, die ich vögelte, wenn ich es mir leisten konnte – durchaus gute Dienste leistete. »Scheiße-Fick«, grunzte ich und gestikulierte. »Arschloch Fotze Pipi Fick.«
    »Aha«, grinste Schlammsack und ließ seinen einzigen Zahn sehen, »gehst zum Firmenkiosk und kaufst dir ein paar Algenhappen, hm?«
    »Gottverdammt Kaka«, grinste ich zurück.
     
    Das Leben eines Dichters besteht nicht nur aus dem endlichen Sprachtanz des Ausdrucks, sondern aus den fast unendlichen Kombinationen von Wahrnehmung und Erinnerung in Verbindung mit der Feinfühligkeit gegenüber dem, was wahrgenommen wird und woran man sich erinnert. Meine drei lokalen Jahre auf Heaven's Gate, fast fünfzehnhundert Standardtage, erlaubten mir zu sehen, zu fühlen, zu hören, als wäre ich buchstäblich neu geboren worden. Es spielte kaum eine Rolle, daß ich in der Hölle neu geboren worden war; wiederaufbereitete Erfahrungen sind der Inhalt jeglicher wahrer Dichtung, und eindringlichste Erfahrungen waren das Geburtstagsgeschenk meines neuen Lebens.
    Ich hatte keine Probleme, mich an eine schöne neue Welt anderthalb Jahrhunderte nach meiner eigenen anzupassen. Trotz unserer großen Worte von Expansion und Pioniergeist in den vergangenen fünf Jahrhunderten wissen wir doch alle, wie dumm und statisch unser Menschenuniversum geworden ist. Wir leben in einem behaglichen Dunklen Zeitalter des erfindungsreichen Geistes; Institutionen verändern sich kaum, und wenn, dann durch langsame Evolution und nicht durch Revolution; die wissenschaftliche Forschung schlurft wie eine Krabbe dahin, wo sie früher große intuitive Sprünge gemacht hat; Einrichtungen verändern sich noch weniger; Gipfeltechnologien, die uns zur Verfügung stehen, könnten von unseren Urgroßvätern mühelos identifiziert – und bedient! – werden. Während ich schlief, wurde die Hegemonie zur formellen Einheit, wurde das Weltennetz in seine fast endgültige Form gebracht, das All-Wesen nahm seinen demokratischen Platz in der Reihe der gütigen Despoten der Menschheit ein und Techno-Core sagte sich vom Dienst am Menschen los und bot seine Hilfe dann als Verbündeter und nicht als Sklave an; die Ousters zogen sich in die Dunkelheit und die Rolle einer Nemesis zurück ... aber das alles hatte sich schon einer kritischen Masse genähert, bevor ich zwischen Schweinebäuchen, Sorbet und Darmflora in meinen eisigen Sarg gebettet worden war, daher erforderte es kaum Anstrengung, derart offensichtliche Fortsetzungen alter Trends zu verstehen. Davon abgesehen ist die Geschichte von innen gesehen stets

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