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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wollen Sie von mir, Billy?«
    Der König rieb sich die Stirn und zuckte zusammen, als er sich aus Versehen den kleinen Finger ins Auge bohrte. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Die Sicherheitsleute wollten Sie ins Schiff bringen und Sie voll ans Verhörinterface anschließen. Ich habe statt dessen beschlossen, mit Ihnen zu reden.«
    Ich blinzelte und spürte ein merkwürdiges Null-ge-Gefühl im Magen. Volles Verhörinterface bedeutete Cortikalstecker und Buchsen im Schädel. Die meisten Menschen, die so verhört werden, erholen sich nie wieder richtig. Die meisten.
    »Können Sie mir sagen, welchen Aspekt der Shrikelegende Sie in Ihrem Gedicht verwenden wollten?« fragte König Billy leise.
    »Klar doch«, sagte ich. »Laut Evangelium des Shrike-Kults, den die Eingeborenen ins Leben gerufen haben, ist das Shrike der Herr der Schmerzen und der Engel der Letzten Buße, der von einem Ort jenseits der Zeit gekommen ist, um das Ende der menschlichen Rasse zu verkünden. Dieses Konzept hat mir gefallen.«
    »Das Ende der menschlichen Rasse«, wiederholte König Billy.
    »Ja. Es ist der Erzengel Michael und Moroni und Satan und die Maskierte Entropie und das Monster Frankensteins, alles in ein Bündel gedreht«, sagte ich. »Es hängt bei den Zeitgräbern herum und wartet nur darauf, die Hölle loszulassen, wenn die Zeit der Menschen gekommen ist, sich zum Dodo und dem Gorilla und dem Pottwal in der Hitparade der Ausgestorbenen zu gesellen.«
    »Das Monster Frankensteins«, sinnierte der kleine dicke Mann mit dem zerknitterten Umhang. »Warum das?«
    Ich holte tief Luft. »Weil der Shrike-Kult der Meinung ist, daß die Menschheit dieses Ding irgendwie geschaffen hat«, sagte ich, obwohl ich wußte, König Billy wußte soviel wie ich, wahrscheinlich mehr.
    »Wissen Sie, wie man es tötet?« fragte er.
    »Nicht daß ich wüßte. Es soll angeblich unsterblich sein, außerhalb der Zeit.«
    »Ein Gott?«
    Ich zögerte. »Eigentlich nicht«, sagte ich schließlich. »Eher einer der schlimmsten, zum Leben erwachten Alpträume des Universums. So ähnlich wie der Sensenmann, aber mit der Angewohnheit, Seelen auf einen riesigen Dornenbaum aufzuspießen – solange die Seelen der Menschen noch in den Körpern sind.«
    König Billy nickte.
    »Hören Sie«, sagte ich, »wenn Sie schon darauf bestehen, Haarspaltereien mit Hinterwelttheologien zu treiben, warum fliegen Sie dann nicht nach Jacktown und fragen ein paar Priester des Kults?«
    »Ja«, sagte der König, stützte das Kinn auf die pummelige Faust und war eindeutig abgelenkt, »sie sind schon im Saatschiff und werden verhört. Es ist alles sehr verwirrend.«
    Ich stand auf, um zu gehen, war aber nicht sicher, ob es mir gestattet werden würde.
    »Martin?«
    »Ja.«
    »Bevor Sie gehen, fällt Ihnen noch etwas ein, das uns helfen könnte, dieses Ding besser zu verstehen?«
    Ich verweilte unter der Tür und spürte, wie mir das Herz an die Rippen schlug, als wollte es hinaus. »Ja«, sagte ich mit nur wenig fester Stimme. »Ich kann Ihnen sagen, wer und was das Shrike wirklich ist.«
    »Oh?«
    »Es ist meine Muse«, sagte ich, drehte mich um, ging auf mein Zimmer und schrieb weiter.
     
    Selbstverständlich hatte ich das Shrike beschworen. Das wußte ich. Ich hatte es mit meinem epischen Gedicht über das Shrike beschworen. Am Anfang war das Wort. Ich änderte den Titel meines Gedichts in Hyperionische Gesänge. Es handelte nicht vom Planeten, sondern vom Verschwinden der selbstgeschaffenen Titanen namens Menschheit. Es handelte von der dummen Selbstüberschätzung einer Rasse, die ihren Heimatplaneten durch ihre Sorglosigkeit vernichtete und diese gefährliche Arroganz dann zu den Sternen trug, nur um sich dem Zorn eines Gottes ausgeliefert zu sehen, zu dessen Erschaffung die Menschheit selbst ihren Teil beigesteuert hatte. Hyperion war das erste ernste Werk, das ich seit vielen Jahren in Angriff genommen hatte, und es war das beste, das ich je schreiben würde. Was als komisch-ernste Hommage an den Geist von John Keats begonnen hatte, wurde zu meinem letzten Grund zu leben, eine epische tour de force in einer Zeit der mittelmäßigen Farce. Hyperionische Gesänge wurde mit einem Geschick geschrieben, wie ich es nie hätte aufbringen können, einer Meisterschaft, derer ich nie fähig gewesen wäre, und es wurde mit einer Stimme gesungen, die nicht meine eigene war. Das Dahinscheiden der Menschheit war mein Thema. Das Shrike war meine Muse.
    Zwanzig weitere Menschen starben, bevor

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