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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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eindrucksvoll gewachsen, aber die Synagoge lag immer noch am Rand einer der ältesten Gegenden der Stadt. Der Tempel war alt, Sol fühlte sich alt, sogar die Yarmulke, die er beim Eintreten aufzog, wirkte urzeitlich und durch jahrzehntelange Benützung abgenutzt, aber der Rabbi war jung. Sol wurde klar, daß der Mann mindestens vierzig sein mußte – sein Haar wurde auf beiden Seiten des dunklen Schädels schütter –, aber für Sol war er kaum mehr als ein Knabe. Sol war erleichtert, als der junge Mann vorschlug, sie sollten ihr Gespräch im Park auf der anderen Straßenseite beenden.
    Sie setzten sich auf eine Parkbank. Sol stellte überrascht fest, daß er die Yarmulke immer noch trug und den Stoff von einer Hand in die andere reichte. Der Tag roch nach verbrannten Blättern und dem Regen des gestrigen Tages.
    »Ich verstehe nicht ganz, M. Weintraub«, sagte der Rabbi. »Macht Ihnen der Traum zu schaffen, oder die Tatsache, daß Ihre Tochter seit dem Tag krank ist, als Sie den Traum zum ersten Mal gehabt haben?
    Sol hob den Kopf und spürte das Sonnenlicht im Gesicht. »Weder noch«, sagte er. »Ich werde nur den Eindruck nicht los, daß zwischen den beiden ein Zusammenhang besteht.«
    Der Rabbi strich mit einem Finger über die Unterlippe. »Wie alt ist Ihre Tochter?«
    »Dreizehn«, sagte Sol nach einer unmerklichen Pause.
    »Und ist die Krankheit ... ernst? Lebensgefährlich?«
    »Nicht lebensgefährlich«, sagte Sol. »Noch nicht.«
    Der Rabbi verschränkte die Arme über einem ansehnlichen Bauch. »Sie glauben doch nicht ... darf ich Sie Sol nennen?«
    »Gewiß.«
    »Sol, Sie glauben doch nicht, daß dieser Traum ... dieser Traum irgendwie die Krankheit Ihres kleinen Mädchens ausgelöst hat? Oder doch?«
    »Nein«, sagte Sol und fragte sich für einen Augenblick tief im Innersten, ob er die Wahrheit sagte. »Nein, Rabbi, ich glaube nicht ...«
    »Nennen Sie mich Mort, Sol.«
    »Gut, Mort. Ich bin nicht gekommen, weil ich glaube, daß ich – oder dieser Traum – Rachels Krankheit verursachen. Aber ich glaube, daß mein Unterbewußtsein versucht, mir etwas zu sagen.«
    Mort wippte sacht hin und her. »Vielleicht könnte ein Neurospezialist oder Psychologe Ihnen weiterhelfen, Sol. Ich bin nicht sicher, was ich ...«
    »Mich interessiert die Geschichte von Abraham«, unterbrach ihn Sol. »Ich meine, ich habe Erfahrungen mit anderen ethischen Systemen, aber es fällt mir schwer, eines zu verstehen, das damit anfängt, daß ein Vater den Befehl erhält, seinen Sohn zu töten.«
    »Nein, nein, nein!« rief der Rabbi und fuchtelte mit seltsam kindlichen Fingern vor sich. »Als der Zeitpunkt gekommen war, hat Gott Abrahams Hand gehindert. Er hätte kein Menschenopfer in seinem Namen zugelassen. Der Gehorsam gegenüber dem Willen des Herrn war ...«
    »Ja«, sagte Sol. »Gehorsam. Aber es steht geschrieben: ›Da aber streckte Abraham die Hand aus und nahm das Messer, seinen Sohn zu opfern.‹ Gott muß Abraham in die Seele gesehen und festgestellt haben, daß er bereit war, Isaak zu töten. Eine bloße Zurschaustellung von Gehorsam ohne innere Überzeugung hätte der Gott der Genesis nicht gelten lassen. Was wäre geschehen, wenn Abraham seinen Sohn mehr geliebt hätte als Gott?«
    Mort trommelte einen Moment mit den Fingern auf dem Knie, dann ergriff er Sol am Oberarm. »Sol, ich sehe, daß die Krankheit Ihrer Tochter Sie durcheinandergebracht hat. Verstricken Sie sich nicht in ein Dokument, das vor achttausend Jahren geschrieben worden ist. Erzählen Sie mir mehr von Ihrem kleinen Mädchen. Ich meine, Kinder sterben nicht mehr an Krankheiten. Nicht im Netz.«
    Sol stand auf, lächelte, ging einen Schritt zurück und befreite seinen Arm. »Ich würde mich gerne länger mit Ihnen unterhalten, Mort. Wirklich gerne. Aber ich muß zurück. Ich habe heute abend noch eine Vorlesung.«
    »Kommen Sie diesen Sabbath in den Tempel?« fragte der Rabbi und streckte seine Wurstfinger zu einem letzten menschlichen Kontakt aus.
    Sol ließ dem jüngeren Mann die Yarmulke in die Hände fallen. »Eines Tages vielleicht, Mort. Eines Tages komme ich vielleicht.«
     
    Im Spätherbst sah Sol zum Fenster seines Arbeitszimmers hinaus und erblickte die dunkle Gestalt eines Mannes, der unter der kahlen Ulme vor dem Haus stand. Die Medien, dachte Sol niedergeschlagen. Ein Jahrzehnt hatte ihm vor dem Tag gegraut, an dem das Geheimnis bekannt werden würde, weil er wußte, es würde das Ende ihres einfachen Lebens in Crawford bedeuten. Er

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