Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Barts.
»Guten Morgen, Daddy.«
»Guten Morgen, Süße.«
Rachel sah sich um und blinzelte. Ein paar von ihren Puppen und Spielsachen und so weiter waren da, aber das Zimmer war nicht ihres. Das Licht war anders. Die Luft war anders. Ihr Daddy sah anders aus. »Wo sind wir, Daddy?«
»Wir haben eine Reise gemacht, Kleines.«
»Wohin?«
»Das ist jetzt nicht so wichtig. Steh auf, Süße. Dein Bad ist fertig, und dann müssen wir uns anziehen.«
Ein dunkles Kleid, das sie noch nie gesehen hatte, hing über dem Bett. Rachel sah das Kleid an, dann wieder ihren Vater. »Daddy, was ist los? Wo ist Mommy?«
Sol rieb sich die Wangen. Es war der dritte Morgen seit dem Unfall. Es war der Tag der Beerdigung. Er hatte es ihr die vergangenen Tage jeden Morgen gesagt, weil er sich nicht vorstellen konnte, sie diesbezüglich anzulügen; es schien der größte Verrat – an Sarai und Rachel gleichermaßen. Aber er glaubte nicht, daß er es noch einmal fertigbringen würde. »Sie hat einen Unfall gehabt, Rachel«, sagte er mit schmerzlich krächzender Stimme. »Mommy ist gestorben. Wir gehen ihr heute auf Wiedersehen sagen.« Sol wartete. Er wußte inzwischen, es würde eine Weile dauern, bis Rachel begriffen hatte, daß ihre Mutter tot war. Am ersten Tag hatte er nicht gewußt, ob eine Vierjährige wirklich begreifen konnte, was der Tod war. Inzwischen wußte er, daß Rachel es konnte.
Später, als Sol das weinende Kind in den Armen hielt, versuchte er, den Unfall zu verstehen, den er ihr so kurz beschrieben hatte. Die EMVs waren bei weitem das sicherste Verkehrsmittel, das die Menschheit je entwickelt hatte. Die Schweber konnten nicht ausfallen, und selbst wenn, müßte die Restladung im EM-Generator ausreichen, das Luftfahrzeug aus jeder Höhe sicher herunterzubringen. Die narrensichere Kollisionsschutzeinrichtung war seit Jahrhunderten nicht mehr verändert worden. Aber alles hatte versagt. In diesem Fall hatte es sich um ein Teenagerpärchen gehandelt, das einen Ausflug mit einem gestohlenen EMV außerhalb der Verkehrsebenen unternommen und dabei auf Mach 1.5 beschleunigt hatte, ohne Scheinwerfer und Transponder einzuschalten, damit sie nicht entdeckt wurden, und das gegen alle Maßnahmen mit Tante Tethas uraltem Vikken zusammengestoßen war, als dieses sich im Landeanflug auf den Parkplatz der Oper in Bussard City befunden hatte. Außer Sarai und Tetha und den beiden Teenagern kamen bei dem Unfall drei weitere Personen durch herabstürzende Trümmer der Vehikel ums Leben, die ins überfüllte Atrium des Opernhauses geschleudert wurden.
Sarai.
»Werden wir Mommy je wiedersehen?« fragte Rachel schluchzend. Das hatte sie jedesmal gefragt.
»Ich weiß nicht, Süße«, antwortete Sol wahrheitsgemäß.
Die Beerdigung fand auf dem Familienfriedhof in Kates County auf Barnards Welt statt. Die Presse drang nicht in den Friedhof selbst ein, aber Reporter warteten hinter den Bäumen und drängten sich an das schwarze Eisentor wie eine wütende Sturmflut.
Richard wollte, daß Sol und Rachel ein paar Tage blieben, aber Sol wußte, was der ruhige Farmer durchmachen müßte, wenn die Presse ihre Angriffe fortsetzen würde. Daher umarmte er Richard, redete kurz mit den tobenden Reportern hinter dem Zaun und floh mit einer schweigsamen und fassungslosen Rachel im Schlepptau nach Hebron zurück.
Reporter folgten ihm nach Neu Jerusalem und versuchten, ihm auch nach Dan zu folgen, aber die Militärpolizei zwang ihre gecharterten EMVs zur Landung, steckte ein Dutzend ins Gefängnis, um ein Exempel zu statuieren und entzog dem Rest die Farcastervisa.
Am Abend ging Sol in den Hügeln über dem Dorf spazieren, während Judy auf das schlafende Kind aufpaßte. Er hatte festgestellt, daß seine Zwiesprache mit Gott jetzt hörbar geworden war, und er kämpfte gegen den Impuls an, die Faust zum Himmel zu schütteln, Obszönitäten zu brüllen, mit Steinen zu werfen. Statt dessen stellte er Fragen, die stets aufhörten mit: Warum?
Er bekam keine Antwort. Hebrons Sonne ging hinter den fernen Bergen unter, und die Felsen glühten, als sie die Wärme abgaben. Sol setzte sich auf einen Stein und rieb sich die Schläfen mit den Handflächen.
Sarai.
Sie hatten ein erfülltes Leben gehabt, trotz der Tragödie von Rachels Krankheit, die über sie gekommen war. Es war zu ironisch, daß ausgerechnet in Sarais erster ruhiger Stunde mit ihrer Schwester ... Sol stöhnte laut.
Die Falle war natürlich gewesen, daß sie sich einzig und allein
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