Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Fall.«
    »Was ist aus ihnen geworden?«
    »Sie wurden wahrscheinlich ... wiederaufbereitet. Wie der Mann mit dem Pferdeschwanz.«
    »Queue ...« Plötzlich sah ich Johnny durch das halbdunkle Zimmer an. »Er war ein Cybrid?«
    »Ohne Zweifel. Die Selbstzerstörung, die Sie beschrieben haben, entspricht genau der Art und Weise, wie ich mir diesen Cybrid vom Hals schaffen würde, falls erforderlich.«
    Mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Mir wurde klar, wie dumm ich gewesen war, wie wenig ich über irgend etwas erfahren hatte. »Dann hat eine andere KI versucht, Sie zu töten?«
    »Sieht so aus.«
    »Warum?«
    Johnny hob die Hände. »Möglicherweise um Wissen zu löschen, das mit meinem Cybrid gestorben ist. Etwas, das ich erst vor kurzem erfahren habe. Und die andere KI ... oder KIs wissen, daß es bei einem Zusammenbruch meines Systems vernichtet werden würde.«
    Ich stand auf, ging hin und her und blieb am Fenster stehen. Allmählich wurde es richtig dunkel. In dem Zimmer befanden sich Lampen, aber Johnny traf keine Anstalten, sie anzumachen, und ich selbst zog das Halbdunkel vor. Es machte das Unwirkliche des Gesagten noch unwirklicher. Ich sah ins Schlafzimmer. Durch die westlichen Fenster fiel das letzte Licht herein; das Bettzeug leuchtete weiß. »Sie sind hier gestorben«, sagte ich.
    »Er«, sagte Johnny. »Ich bin nicht er.«
    »Aber Sie haben seine Erinnerungen.«
    »Halb vergessene Träume. Mit Lücken.«
    »Aber Sie wissen, was er empfunden hat.«
    »Ich erinnere mich an das, was er nach Meinung der Konstrukteure empfunden hat.«
    »Sagen Sie es mir.«
    »Was?« Johnnys Haut sah im Halbdunkel sehr blaß aus. Seine kurzen Locken wirkten schwarz.
    »Wie es war zu sterben. Wie es war, wiedergeboren zu werden.«
    Johnny erzählte es mir mit einer sehr sanften, fast melodischen Stimme, wobei er manchmal in ein Englisch verfiel, das so archaisch war, daß ich es kaum verstehen konnte, aber viel schöner für das Ohr als die Mischsprache, die wir heute sprechen.
    Er erzählte mir, wie es war, ein von Perfektionismus besessener Dichter zu sein und seinen eigenen Werken weitaus strenger gegenüberzustehen als selbst der heimtückischste Kritiker. Und die Kritiker waren heimtückisch. Seine Werke wurden mißachtet, lächerlich gemacht, als nachahmerisch und albern bezeichnet. Er war zu arm, die Frau zu heiraten, die er liebte, und lieh seinem Bruder in Amerika Geld, womit er die letzte Chance auf finanzielle Sicherheit verlor ... und dann der kurze Ruhm, als er die Reife seines dichterischen Talents erfuhr und gleichzeitig dem ›Siechtum‹ verfiel, welches seine Mutter und seinen Bruder Tom das Leben gekostet hatte. Dann wurde er nach Italien in die Verbannung geschickt, vorgeblich ›seiner Gesundheit wegen‹, und wußte die ganze Zeit, daß das einen einsamen, schmerzhaften Tod im Alter von sechsundzwanzig Jahren bedeutete. Er erzählte von der Qual, Fannys Handschrift auf den Briefumschlägen zu sehen, die er nicht aufzumachen wagte, um nicht zu leiden; er erzählte von der Loyalität des jungen Künstlers Joseph Severn, der von ›Freunden‹ als Begleiter ausgesucht worden war, die den Dichter letztlich doch im Stich gelassen hatten, und wie Severn den sterbenden Mann pflegte und die letzten Tage über bei ihm blieb. Er erzählte von den Blutstürzen des Nachts, von Dr. Clark, der ihn zur Ader gelassen und ›Bewegung und frische Luft‹ verschrieben hatte, und schließlich von der endgültigen religiösen und persönlichen Verzweiflung, die Keats dazu veranlaßte, als Nachruf auf seinem Grabstein zu wünschen: »Hier ruht einer, dessen Name in Wasser geschrieben war.«
    Nur noch schwächstes Licht von draußen zeichnete die Fenster ab. Johnnys Stimme schien in der duftenden Nachtluft zu schweben. Er schilderte, wie er nach seinem Tod im Totenbett aufgewacht war, immer noch in der Obhut des loyalen Severn und Dr. Clarks, wie er sich erinnerte, daß er der Dichter John Keats war, so wie man sich an die Identität in einem rapide verblassenden Traum erinnert, während er die ganze Zeit wußte, daß er jemand anders war.
    Er erzählte von der Fortsetzung der Illusion, von der Rückkehr nach England, dem Wiedersehen mit der Fanny-die-nicht-Fanny-war und dem drohenden geistigen Zusammenbruch, den das fast ausgelöst hätte. Er schilderte sein Unvermögen, weiterhin Gedichte zu schreiben, erzählte von seiner zunehmenden Entfremdung von den Cybridstellvertretern, von seiner Flucht in etwas, das Katatonie

Weitere Kostenlose Bücher