Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
während wir badeten, uns entspannten, hallende Hallos brüllten, bis wir heiser waren, und uns ganz allgemein übermütig wie Kinder benahmen, die schulfrei haben. Tuk gestand mir, daß er noch nie die ganze Breite des Flammenwalds durchquert hatte – und auch niemand kannte, der es in dieser Jahreszeit getan hätte –, und verkündete, da die Teslabäume jetzt aktiv wurden, würde er mindestens drei Monate warten müssen, bis er wieder nach Hause zurückkehren konnte. Es schien ihn nicht weiter zu bekümmern, und ich war froh, ihn bei mir zu haben.
    Am Nachmittag transportierten wir meine Ausrüstung in Abständen, schlugen das Lager am Bach, etwa hundert Meter vom Überhang entfernt, auf und stapelten meine Schaumstoffkisten mit wissenschaftlicher Ausrüstung, um sie am nächsten Morgen eingehender zu untersuchen.
    Am Abend war es kalt. Nach dem Abendessen, kurz vor Sonnenuntergang, zog ich meine Thermojacke an und ging allein zu einem Felsensims südwestlich der Stelle, wo ich die Kluft zum ersten Mal gesehen hatte. Von meinem Aussichtspunkt weit über dem Fluß war der Blick überwältigend. Dunst stieg von unsichtbaren Wasserfällen empor, die zum Fluß tief unten stürzten, Gischt stieg in wabernden Nebelvorhängen empor, welche die Sonne in ein Dutzend violetter Kugeln und doppelt so viele Regenbogen brachen. Ich sah zu, wie jedes Spektrum geboren wurde, der dunkelnden Himmelskuppel entgegenstieg und starb. Als die abkühlende Luft in die Risse und Höhlen des Plateaus eindrang und die warme Luft himmelwärts rauschte und dabei Blätter, Zweige und Nebel wie ein vertikaler Sog nach oben riß, ertönte ein Laut aus der Kluft, als würde der Kontinent selbst mit den Stimmen von Felsriesen rufen, mit gigantischen Bambusflöten, mit Kirchenorgeln so groß wie Paläste, deren kristallklare Noten vom schrillsten Sopran bis zum tiefsten Baß reichten. Ich spekulierte über Windvektoren gegen die gerillten Felswände, über Höhlen tief, tief unten, von denen bodenlose Risse in die reglose Rinde verliefen, und über die Illusion menschlicher Stimmen, die zufällige Harmonien erzeugen können. Aber letztendlich ließ ich die Spekulationen sein und hörte einfach nur zu, wie die Kluft der Sonne ihr Abschiedslied sang.
    Ich ging zu unserem Zelt und dem Kreis biolumineszenten Laternenlichts zurück, als gerade die erste Salve Meteorschauer leuchtend über den Himmel zog und am südlichen und westlichen Horizont die fernen Explosionen der Flammenwälder grollten wie Geschützfeuer eines urzeitlichen Krieges auf der Alten Erde in Prä-Hegira-Zeiten.
    Im Zelt hörte ich die weitreichenden Komlogfrequenzen ab, bekam aber nur Statik herein. Ich vermute, selbst wenn die primitiven Komsats, welche die Fiberplastikplantagen bedienen, so weit nach Osten senden würden, müßte alles bis auf die gebündeltsten Laser- oder Fatlinestrahlen durch die Berge oder die Teslaaktivität maskiert werden. Auf Pacem trugen die wenigstens von uns im Kloster persönliche Komlogs bei oder in sich, aber die Datensphäre war stets präsent, falls wir uns einklinken wollten. Hier gibt es keine Wahl.
    Ich sitze da und lausche, wie die letzten Töne im Canyon verklingen, sehe zu, wie der Himmel gleichzeitig dunkler wird und leuchtet, lächle über Tuks Schnarchen im Schlafsack vor dem Zelt und denke bei mir: Wenn dies das Exil ist, so sei es.
     
    Tag 88:
    Tuk ist tot. Ermordet.
    Ich fand seine Leiche, als ich bei Sonnenaufgang aus dem Zelt kam. Er hatte draußen geschlafen, nicht mehr als vier Meter von mir entfernt. Er hatte gesagt, er wollte unter den Sternen schlafen.
    Die Mörder haben ihm im Schlaf die Kehle durchgeschnitten. Ich habe keinen Schrei gehört. Aber ich habe geträumt: Träume von Semfa, die mich während meiner Krankheit gepflegt hat. Träume von kalten Händen, die mich an Hals und Schultern berührten und das Kruzifix betasteten, das ich seit meiner Kindheit trage. Ich stand über Tuks Leichnam und sah auf den breiten, dunklen Kreis hinab, wo sein Blut in den gleichgültigen Erdboden Hyperions gesickert war, und erschauerte beim Gedanken, daß mein Traum mehr als ein Traum gewesen war – daß mich in der Nacht tatsächlich Hände berührt hatten.
    Ich muß gestehen, ich habe wie ein ängstlicher alter Narr reagiert, nicht wie ein Priester. Ich habe die Letzte Ölung durchgeführt, aber dann überkam mich Panik, und ich ließ den Leichnam meines unglücklichen Führers liegen, suchte verzweifelt in den Vorräten nach einer

Weitere Kostenlose Bücher