Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
geschworen, daß ich das Skelett des Tieres durch das brutzelnde Fleisch hindurch erkennen konnte, dann zuckte es hoch in die Luft und war schlichtweg spurlos verschwunden.
    Drei Stunden haben wir den Weltuntergang beobachtet. Zwei Ableiterpflöcke sind ausgefallen, aber die restlichen acht funktionieren noch. Tuk und ich kauern in der heißen Höhle unseres Zelts, die Osmosemasken filtern genügend kühlen Sauerstoff aus der überhitzten, rauchigen Luft, daß wir atmen können. Einzig die Tatsache, daß es kein Unterholz in der Nähe gibt, und Tuks Geschick, mit dem er unser Zelt fernab von anderen Zielen und in der Nähe der abschirmenden Asbestpflanzen aufgestellt hat, haben uns ermöglicht, zu überleben. Sie und die acht legierten Pflöcke, die zwischen uns und der Ewigkeit stehen.
    »Sie scheinen es gut auszuhalten!« brülle ich Tuk über das Zischen und Knistern, Donnern und Prasseln des Gewitters hinweg zu.
    »Sind gemacht für ene Stunde, vielleicht zwey«, grunzt mein Führer. »Dann, megglicherweise friher, sie schmelzen, wir sterben.«
    Ich nicke und schlürfe lauwarmes Wasser durch den Saugschlitz der Osmosemaske. Wenn ich diese Nacht überleben werde, möchte ich Gott stets für seine Großzügigkeit danken, daß Er mir gestattet hat, dieses Schauspiel zu sehen.
     
    Tag 87:
    Tuk und ich sind gestern mittag aus dem schwelenden nordöstlichen Rand des Flammenwaldes herausgekommen, haben unverzüglich am Rand eines schmalen Bächleins das Lager aufgeschlagen und achtzehn Stunden lang ununterbrochen geschlafen; damit haben wir die drei Nächte ohne Schlaf und zwei grausame Tage wettgemacht, während deren wir uns ohne Ruhe durch einen Alptraum aus Flammen und Asche gequält haben. Überall, wohin wir auch blickten, während wir uns der Kuppe näherten, die den Waldrand markiert, konnten wir Samenkapseln und Zapfen der zahlreichen Flammenbaumarten sehen, die aufbrachen und neues Leben aus denen schufen, die in den vergangenen beiden Nächten im Feuer gestorben waren. Fünf unserer Ableiterpflöcke funktionierten noch, aber weder Tuk noch ich waren erpicht darauf, sie in einer weiteren Nacht auf die Probe zu stellen. Unser überlebendes Packbrid brach in dem Augenblick tot zusammen, als wir ihm die schwere Last vom Rücken genommen hatten.
    Heute morgen wachte ich bei Dämmerung auf, weil ich fließendes Wasser hörte. Ich folgte dem kleinen Bächlein einen Kilometer nach Nordosten, während sein Rauschen immer tiefer wurde, bis es schließlich den Fels hinabstürzte und verschwand.
    Die Kluft! Ich hatte unser Ziel fast vergessen gehabt. Heute morgen stolperte ich durch den Nebel, sprang von einem nassen Felsen zum nächsten auf den zunehmend breiteren Bach, wagte schließlich den Sprung zum letzten Felsstein, wankte dort, erlangte das Gleichgewicht wieder und sah direkt über einen Wasserfall hinab, der fast dreitausend Meter tief in Nebel, Fels und einen Fluß weit unten fiel.
    Die Kluft war nicht aus dem Hochplateau geschnitten wie der legendäre Grand Canyon der Alten Erde oder der Weltriß auf Hebron. Trotz seiner aktiven Meere und scheinbar erdähnlichen Kontinente ist Hyperion tektonisch so gut wie tot; in seinem völligen Stillstand jeglicher Kontinentaldrift gleicht er mehr dem Mars, Lusus oder Armaghast. Hyperion ist, wie Mars und Lusus, mit seinen Eiszeiten geschlagen, doch wird hier die Periodik durch die langgestreckte Ellipsenbahn des momentan das Aphel durchwandernden Binärzwergs auf siebenunddreißig Millionen Jahre gedehnt. Das Komlog vergleicht die Kluft mit dem Mariner Valley auf dem Mars vor den Terraformen – beide entstanden durch Schwächung der Planetenkruste infolge periodischen Gefrierens und Auftauens über Äonen hinweg, gefolgt vom Strom unterirdischer Flüsse wie dem Kans. Danach der massive Einbruch, der sich wie eine lange Narbe durch den bergigen Flügel des Kontinents Aquila zieht.
    Tuk kam zu mir, als ich am Rand der Kluft stand. Ich war nackt und wusch den Aschegeruch aus meiner Reisekleidung und der Soutane. Ich spritzte mir kaltes Wasser auf die blasse Haut und lachte laut, als die Echos von Tuks Rufen von der knapp siebenhundert Meter entfernten Nordwand widerhallten. Aufgrund der Art des Einbruchs der Oberfläche standen Tuk und ich weit draußen auf einem Überhang, der die Südwand unter uns verbarg. Obschon auf gefährliche Weise bloßgestellt, hofften wir, daß die Felslippe, die der Schwerkraft seit Jahrmillionen trotzte, noch ein paar Stunden halten würde,

Weitere Kostenlose Bücher