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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Geräuschs erklang – nein, kein Geräusch, möglicherweise eine Störung in der kühlen Luft –, und ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, daß ich sehen konnte, wie etwas die Kammer betrat.
    Die Bikura knieten immer noch, duckten die Köpfe und hielten die Blicke gesenkt. Ich blieb stehen. Ich wandte keinen Blick von dem Ding ab, das sich zwischen den knienden Bikura hindurch bewegte.
    Es war ungefähr wie ein Mensch geformt, aber auf gar keinen Fall menschlich. Es war mindestens drei Meter hoch. Selbst wenn es reglos war, schien sich die silberne Oberfläche des Dings zu bewegen und zu wabern wie Quecksilber im Schwebezustand. Das rötliche Leuchten der in den Tunnel eingelassenen Kreuze wurde von scharfkantigen Oberflächen reflektiert und funkelte auf gekrümmten Metallblasen, die von der Stirn des Dings abstanden, vier Handgelenken, seltsam angewinkelten Ellbogen, Knien, gepanzertem Rücken und Rumpf. Es schwebte zwischen den knienden Bikura, und als es die vier langen Arme ausstreckte, Hände gestreckt, Finger, die wie Chromskalpelle einrasteten, mußte ich absurderweise an Seine Heiligkeit auf Pacem denken, der die Gläubigen segnete.
    Ich zweifelte nicht daran, daß ich das legendäre Shrike vor mir sah.
    In diesem Augenblick muß ich mich bewegt oder ein Geräusch erzeugt haben, denn große, rote Augen sahen in meine Richtung und ich war wie hypnotisiert vom Tanz der facettenreichen Prismen darin: nicht nur reflektiertes Licht, sondern ein düsteres, blutrotes Glühen, das im stachligen Schädel des Wesens zu brennen und in den schrecklichen Edelsteinen zu pulsieren schien, die sich dort befanden, wo Gott Augen vorgesehen hatte.
    Dann bewegte es sich ... oder besser gesagt, es bewegte sich nicht, sondern hörte auf, da zu sein, und war hier, stand keinen Meter von mir entfernt, seine Arme mit den seltsamen Gelenken umgaben mich mit einem Zaun von Klingen und flüssigem silbernem Stahl. Schwer keuchend, aber außerstande, Luft zu holen, sah ich mein eigenes Spiegelbild, das weiße, verzerrte Gesicht tanzte über die Oberfläche des Metallpanzers des Dings und seine brennenden Augen.
    Ich muß gestehen, ich empfand etwas, das einem Hochgefühl näher war als Angst. Etwas Unerklärliches ging hier vor. Ich, in jesuitischer Logik geschmiedet und im Kältebad der Wissenschaft gehärtet, begriff doch in diesem Augenblick das uralte Verlangen eines jeden gottesfürchtigen Menschen nach einer anderen Art von Furcht: dem Kitzel des Exorzismus, dem gedankenlosen Strudel der Derwisch-Besessenheit, dem Marionettentanzritual des Tarot und der fast erotischen Unterwerfung von Seancen, dem Zungenreden und der Trance der Zen-Gnostiker. In diesem Augenblick wurde mir klar, wie gewißlich die Bestätigung von Dämonen oder die Beschwörung Satans irgendwie die Wirklichkeit ihrer mystischen Antithese – des Gottes Abrahams – bestätigen kann.
    Das alles dachte ich nicht, aber empfand es alles, während ich die Umarmung des Shrike mit dem unmerklichen Zittern einer jungfräulichen Braut erwartete. Es verschwand.
    Kein Donnerschlag, kein plötzlicher Schwefelgeruch, nicht einmal der wissenschaftliche Sog der einströmenden Luft. Eben war das Ding noch da, umringte mich mit seiner wunderschönen Gewißheit des scharfkantigen Todes, und im nächsten Augenblick war es fort.
    Ich stand benommen da und blinzelte, während Alpha aufstand und in der Düsternis eines Bosch auf mich zukam. Er stand da, wo das Shrike gestanden hatte und hatte die Arme in einer jämmerlichen Imitation der tödlichen Perfektion ausgebreitet, deren Zeuge ich gerade geworden war, aber Alphas leeres Bikuragesicht ließ nicht erkennen, ob er die Kreatur gesehen hatte. Er machte eine linkische Geste mit offenen Händen, die das Labyrinth, die Höhlenwand und die Dutzende leuchtenden Kreuze einzuschließen schien, die darin eingebettet waren.
    »Kruziform«, sagte Alpha. Die Fünf Dutzend und Zehn standen auf, kamen näher und knieten wieder hin.
    Ich betrachtete ihre ausdruckslosen Gesichter im sanften Lichtschein und kniete ebenfalls nieder.
    »Du wirst alle Tage dem Kreuz folgen«, sagte Alpha, dessen Stimme die Kadenz einer Litanei angenommen hatte. Die restlichen Bikura wiederholten die Feststellung in einer Tonlage, die fast einem Singsang gleichkam.
    »Du wirst alle Tage zur Kruziform gehören«, sagte Alpha, die anderen wiederholten es und zogen eine kleine Kruziform von der Höhlenwand weg. Diese war kaum mehr als zehn Zentimeter lang und

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