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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Stammes fortsetzte, fand ich die Wahrheit heraus. Derjenige, den ich Theta genannt habe, sieht gleich aus und benimmt sich auch gleich, trägt aber nun zwei Kruziformen in sein Fleisch eingebettet. Ich zweifle nicht daran, daß dieser Bikura in den kommenden Jahren zur Korpulenz neigen, anschwellen und reifen wird wie obszöne E. coli in einer Petrischale. Wenn er/sie/es stirbt, werden zwei das Grab verlassen und die Fünf Dutzend und Zehn werden wieder komplett sein.
    Ich glaube, ich verliere den Verstand!
     
    Tag 195:
    Wochenlanges Studium des verfluchten Parasiten und immer noch kein Hinweis, wie er funktioniert. Schlimmer, es kümmert mich auch nicht mehr. Was mich momentan kümmert, ist wichtiger.
    Warum hat Gott diese Obszönität zugelassen?
    Warum sind die Bikura so bestraft worden?
    Warum wurde ich auserwählt, ihr Schicksal zu teilen?
    Ich stelle diese Fragen in nächtlichen Gebeten, aber ich höre keine Antworten, nur den Blutgesang des Windes aus der Kluft.
     
    Tag 214:
    Die letzten zehn Seiten müßten meine sämtlichen Forschungsaufzeichnungen und technischen Daten enthalten. Dies wird mein letzter Eintrag, bevor ich mich morgen in den ruhenden Flammenwald wage.
    Es kann kein Zweifel mehr bestehen, daß ich die absolute Krone stagnierender menschlicher Gesellschaften gefunden habe. Die Bikura haben den Menschheitstraum von der Unsterblichkeit verwirklicht und dafür mit ihrer Menschlichkeit und ihren unsterblichen Seelen bezahlt.
    Edouard, ich habe viele Stunden mit meinem Glauben gekämpft – meinem verlorenen Glauben –, aber jetzt, in dieser furchteinflößenden Ecke eines so gut wie vergessenen Planeten und mit diesem verabscheuungswürdigen Parasiten geschlagen, habe ich eine Kraft des Glaubens wiederentdeckt, wie ich sie nicht mehr erlebt habe, seit wir beide Knaben waren. Ich verstehe jetzt die Notwendigkeit des Glaubens – puren, blinden, jeglicher Vernunft trotzenden Glaubens – als eines kleinen Schutzes des Lebens in dem wilden und endlosen Meer eines von gnadenlosen Gesetzen beherrschten Universums, das die winzigen denkenden Wesen, die es bewohnen, mit völliger Gleichgültigkeit betrachtet.
    Tag für Tag habe ich versucht, das Gebiet der Kluft zu verlassen, und Tag für Tag habe ich Schmerzen erdulden müssen, die so schrecklich waren, daß sie zum greifbaren Bestandteil meiner Welt geworden sind, wie die zu kleine Sonne oder der grüne und türkisfarbene Himmel. Der Schmerz ist mein Verbündeter geworden, mein Schutzengel, mein letztes Bindeglied zur Menschlichkeit. Die Kruziform mag keine Schmerzen. Ich auch nicht, aber ich bin – wie die Kruziform – durchaus bereit, sie so einzusetzen, daß sie meinen Zwecken dienen. Und ich werde es bewußt tun, nicht instinktiv wie die hirnlose Masse fremden Fleisches, die in mich eingebettet ist. Dieses Ding trachtet nur ohne zu denken danach, den Tod um jeden Preis zu vermeiden. Ich will nicht sterben, nehme aber lieber Schmerz und Tod auf mich, als ein ewiges Leben ohne zu denken. Das Leben ist heilig – das betrachte ich immer noch als Kernsatz kirchlichen Lehrens und Denkens in den vergangenen zweitausendachthundert Jahren, da das Leben so billig gewesen ist –, aber noch heiliger ist die Seele.
    Mir ist inzwischen klar geworden, ich wollte der Kirche mit den Daten von Armaghast keine Wiedergeburt anbieten, sondern den Übergang zu einem falschen Leben, wie es diese armen wandelnden Leichen führen. Wenn die Kirche sterben soll, so muß es geschehen – aber ruhmreich, im vollsten Wissen ihrer Wiedergeburt in Christus. Sie muß nicht willentlich, aber mit Anstand in die Dunkelheit gehen – tapfer und festen Glaubens – wie die Millionen, die vor uns gegangen sind, im Glauben vereint mit allen Generationen, die sich dem Tod in der isolierten Stille von Konzentrationslagern und nuklearen Feuerbällen und Krebsstationen und Verfolgungen ausgesetzt gesehen haben; und wenn sie schon nicht voll Hoffnung in die Dunkelheit gehen kann, dann zumindest mit Gebeten, daß es einen Grund für alles gibt, der den Preis des Leids und der vielen Opfer wert ist. Alle vor uns mußten ohne Trost von Logik oder Fakten oder überzeugenden Theorien in die Dunkelheit gehen, lediglich mit dem dünnen Faden der Hoffnung oder der allzu leicht zu erschütternden Überzeugung des Glaubens. Und wenn sie diese schwache Hoffnung im Angesicht der Dunkelheit aufrechterhalten konnten, dann muß ich es auch ... und die Kirche.
    Ich glaube nicht mehr, daß ein

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