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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Veränderungen waren nach dieser ersten Nacht zu Ende. Der Leichnam des Bikura, den ich Alpha genannt hatte, wurde vor meinen Augen abgerissen und neu aufgebaut. Der Leichnam, der zurückblieb, war nicht ganz Alpha und nicht ganz nicht Alpha, aber er war unversehrt. Das Gesicht war wie das Gesicht einer Plastikpuppe, glatt und ohne Linien, die Züge zu einem leichten Lächeln erstarrt. Bei Sonnenaufgang des dritten Tages sah ich, wie sich die Brust des Leichnams hob und senkte und hörte den ersten Atemzug – ein Geräusch, als würde Wasser in einen Lederschlauch gegossen werden. Kurz vor Mittag verließ ich die Basilika und kletterte die Ranken hoch.
    Ich folgte Alpha.
    Er hat nicht gesprochen, antwortet nicht. Seine Augen blicken starr und verschwommen, gelegentlich bleibt er stehen, als würde er ferne Stimmen rufen hören.
    Niemand schenkte uns Beachtung, als wir ins Dorf zurückkehrten. Alpha ging in eine Hütte, dort sitzt er jetzt. Ich sitze in meiner. Vor einer Minute habe ich mein Gewand geöffnet und mit den Fingern über den Wulst der Kruziform gestrichen. Sie liegt gnädig unter der Haut meiner Brust. Und wartet.
     
    Tag 140:
    Ich erhole mich von meinen Verletzungen und dem Blutverlust. Es kann nicht mit einem geschliffenen Stein herausgeschnitten werden.
    Es mag keine Schmerzen. Ich habe das Bewußtsein lange verloren, bevor Schmerzen oder Blutverlust es verursacht haben können. Jedesmal, wenn ich aufwachte und wieder zu schneiden anfing, wurde ich bewußtlos gemacht. Es mag keine Schmerzen.
     
    Tag 158:
    Alpha spricht jetzt ein wenig. Er scheint träger, langsamer und nur vage bewußt zu sein, wenn ich bei ihm bin (oder ein anderer bei ihm ist), aber er ißt und bewegt sich. Er scheint mich bis zu einem gewissen Grad zu erkennen. Der Medscanner zeigt Herz und innere Organe eines jungen Mannes – möglicherweise eines sechzehnjährigen Knaben.
    Ich muß noch einen Hyperionmonat und zehn Tage – insgesamt rund fünfzig Tage – warten, bis die Flammenwälder so ruhig werden, daß ich ein Durchkommen versuchen kann, Schmerzen hin oder her. Wir werden sehen, wer mehr Schmerzen ertragen kann.
     
    Tag 173:
    Wieder ein Todesfall.
    Der, den ich Will nenne – der mit dem gebrochenen Finger –, war seit einer Woche vermißt. Gestern gingen die Bikura mehrere Kilometer nach Nordosten, als würden sie einem Fanal folgen, und fanden die sterblichen Überreste nahe einer tiefen Schlucht.
    Offenbar ist ein Ast abgebrochen, auf den er geklettert war, um Chalmawedel zu pflücken. Er muß sofort tot gewesen sein, da er sich das Genick gebrochen hat, aber wichtig ist, wohin er abgestürzt ist. Der Leichnam – wenn man ihn so nennen kann – lag zwischen zwei großen Lehmkegeln, bei denen es sich um die Stöcke großer roter Insekten handelt, die Tuk als Feuerameisen bezeichnet hat. Teppichkäfer wäre eine passendere Bezeichnung gewesen. In den vergangenen Tagen hatten die Insekten den Leichnam bis auf die Knochen abgenagt. Es war wenig übrig, abgesehen vom Skelett, ein paar vereinzelte Fetzen Knorpel und Sehnen – und die Kruziform, die noch auf der Brust saß wie ein prunkvolles Kreuz, das in den Sarkophag eines längst verstorbenen Papstes gelegt worden ist.
    Es ist schrecklich, aber ich kann bei aller Trauer ein kleines Triumphgefühl nicht unterdrücken. Die Kruziform kann unmöglich etwas aus diesen nackten Gebeinen regenerieren; selbst die schreckliche Unlogik dieses verfluchten Parasiten muß sich an das zwingende Gesetz von der Erhaltung der Masse halten. Der Bikura, den ich Will genannt habe, ist den wahren Tod gestorben. Von diesem Tage an sind die Fünf Dutzend und Zehn wahrhaftig die Fünf Dutzend und Neun.
     
    Tag 174:
    Ich bin ein Narr.
    Heute habe ich nach Will gefragt, nach der Tatsache, daß er den wahren Tod gestorben ist. Die fehlende Reaktion der Bikura hat mich neugierig gemacht. Sie haben die Kruziform mitgenommen, aber das Skelett liegenlassen, wo sie es gefunden haben; niemand hat versucht, das Skelett zur Basilika zu tragen. In der Nacht habe ich mir Sorgen gemacht, man würde mich zwingen, die Rolle des fehlenden Mitglieds der Fünf Dutzend und Zehn zu übernehmen. »Es ist sehr traurig«, sagte ich, »daß einer von euch den wahren Tod gestorben ist. Was wird nun aus den Fünf Dutzend und Zehn werden?«
    Beta starrte mich an. »Er kann den wahren Tod nicht sterben«, sagte der kahle kleine Androgyne. »Er gehört zur Kruziform.«
    Etwas später, als ich mein Medscanning des

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