Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
tief Luft. »Gegen meine nachdrücklichen Einwände hat M. Orlandi das Dorf der Bikura und einen Teil der Klippenwand mit Nuklearladungen zerstört, die er von der Plantage mitgebracht hatte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß einer der Bikura überlebt haben kann. Und soweit wir erkennen konnten, müssen der Eingang zum Labyrinth und die sogenannte Basilika ebenfalls bei dem Erdrutsch vernichtet worden sein.
Ich hatte im Lauf der Expedition zahlreiche Verletzungen erlitten und mußte daher mehrere Monate auf der Plantage verbringen, bevor ich zum Nordkontinent zurückkehren und eine Rückreise nach Pacem buchen konnte. Niemand weiß von diesen Tagebüchern und ihrem Inhalt, außer M. Orlandi, Monsignore Edouard und den Vorgesetzten, die er darüber informiert hat. Soweit mir bekannt ist, hat die Kirche keine Enzyklika zu den Tagebüchern von Pater Paul Duré veröffentlicht.«
Pater Hoyt hatte gestanden, nun setzte er sich. Schweiß tropfte ihm vom Kinn, sein Gesicht war im reflektierten Licht von Hyperion blau weiß.
»Ist das ... alles?« fragte Martin Silenus.
»Ja«, brachte Pater Hoyt heraus.
»Meine Herren, meine Dame«, sagte Het Masteen, »es ist spät. Ich schlage vor, Sie nehmen alle Ihr Gepäck und wir treffen uns beim Schiff unseres Freundes, des Konsuls, in Kugel elf. In dreißig Minuten, wenn möglich früher. Ich werde ein Landungsboot des Baumschiffs nehmen und später zu Ihnen stoßen.«
Der größte Teil der Gruppe hatte sich fünfzehn Minuten später schon wieder versammelt. Die Tempelritter hatten einen Laufsteg von einem Arbeitspier an der Innenseite der Kugel zum obersten Balkon des Schiffes gezogen. Der Konsul ging voran in den Aufenthaltsraum, während Mannschaftsklone das Gepäck verstauten und sich zurückzogen.
»Ein faszinierendes altes Instrument«, sagte Oberst Kassad und strich mit einer Hand über den Steinway. »Cembalo?«
»Piano«, sagte der Konsul. »Prä-Hegira. Sind alle da?«
»Alle außer Hoyt«, sagte Brawne Lamia, die in der Projektionsnische Platz nahm.
Het Masteen trat ein. »Das Schlachtschiff der Hegemonie hat Ihnen Erlaubnis erteilt, auf dem Raumhafen von Keats zu landen«, sagte der Kapitän. Er sah sich um. »Ich werde ein Mannschaftsmitglied zu M. Hoyt schicken, falls er Unterstützung braucht.«
»Nein«, sagte der Konsul. Er modulierte seine Stimme. »Ich würde gern zu ihm gehen. Können Sie mir den Weg zu seinem Quartier beschreiben?«
Der Kapitän des Baumschiffs sah den Konsul lange an, dann griff er in die Falten seines Gewands. »Bon voyage«, sagte er und gab ihm eine Siegelmarke. »Wir sehen uns auf dem Planeten – kurz vor unserer mitternächtlichen Abreise vom Shrike-Tempel in Keats.«
Der Konsul verbeugte sich. »Es war ein Vergnügen, in den schützenden Ästen des Baums zu reisen, Het Masteen«, sagte er förmlich. Dann drehte er sich mit einer Geste zu den anderen um. »Bitte machen Sie es sich im Aufenthaltsraum oder der Bibliothek ein Deck tiefer gemütlich. Das Schiff wird sich um Ihre Bedürfnisse kümmern und eventuelle Fragen beantworten. Wir brechen auf, sobald Pater Hoyt und ich zurückkehren.«
Die Umweltknospe des Priesters lag auf halber Höhe des Baumschiffs weit draußen auf einem sekundären Ast. Wie der Konsul erwartet hatte, diente die Komlogsiegelmarke, die Het Masteen ihm gegeben hatte, auch als Universalschlüssel, der das Handflächenschloß außer Kraft setzte. Nachdem er mehrere Minuten vergeblich geläutet und mit der Hand gegen den Zugang geklopft hatte, benützte der Konsul die Siegelmarke und trat in die Knospe ein.
Pater Hoyt lag auf den Knien und wand sich auf dem Grasteppich. Schlafgewand, Ausrüstung, Kleidungsstücke und der Inhalt eines Standardmedkoffers lagen um ihn herum auf dem Boden verstreut. Er hatte Bluse und Kragen abgelegt und schwitzte so sehr, daß ihm das Hemd klamm am Körper klebte und an manchen Stellen zerrissen war, wo er durch den Stoff gekrallt hatte. Hyperions Licht fiel durch die Knospenwand herein und verlieh der bizarren Szene den Anschein, als wäre sie unter Wasser inszeniert worden – oder, dachte der Konsul, in einer Kathedrale.
Lenar Hoyts Gesicht war schmerzverzerrt, während er mit den Händen nach der Brust krallte. Die Muskeln seiner entblößten Arme wanden sich wie Lebewesen, die sich unter einer blassen Plane bewegten. »Der Injektor ... Fehlfunktion«, keuchte Hoyt. »Bitte.«
Der Konsul nickte, befahl der Tür, sich zu schließen und kniete neben dem
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