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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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um die Notfallschlaufen am Raumanzug des Mannes aufzureißen und eine Minute, bis er den Leichnam herausgeschält und sich den Anzug angezogen hatte. Er war mindestens zehn Zentimeter größer als der Tote, und der Anzug war konstruiert, daß er sich etwas dehnte, aber dennoch kniff er schmerzhaft an Hals, Handgelenken und Knien. Der Helm drückte gegen seine Stirn wie ein gepolsterter Schraubstock. Blutfäden und eine feuchte weiße Substanz klebten innen am Visier. Das Schrapnellstück, das den Marine getötet hatte, hatte zwei Löcher hinterlassen, aber der Anzug hatte sich, so gut es ging, versiegelt. Die meisten Lichter auf der Brust waren rot und der Anzug reagierte nicht, als Kassad einen Statusbericht forderte, aber die Luftzufuhr funktionierte, wenn auch mit beängstigendem Keuchen.
    Kassad versuchte es mit dem Anzugfunk. Nichts, nicht einmal Statik. Er fand den Komloganschluß in einem Hüllentermex. Nichts. Da schlingerte das Schiff erneut, das Metall hallte unter einer Folge von Treffern wider, und Kassad wurde gegen die Wand des Spierarmschafts geschleudert. Einer der Transportkäfige wirbelte vorbei, die abgerissenen Trossen peitschten wie die Tentakel einer aufgeregten Seeanemone. In dem Käfig befanden sich Leichen, weitere Tote hingen in den Abschnitten der Wendeltreppe, die an der Schachtwand noch intakt war. Kassad strampelte sich über die verbleibende Distanz bis zum Ende des Schachts und stellte fest, daß sämtliche luftdichten Türen dort versiegelt und das Irisschott des Schachts selbst geschlossen waren, aber im Primärschott waren so große Löcher, daß man ein EMV hätte durchsteuern können.
    Das Schiff schlingerte wieder und trudelte unkontrollierter, wodurch Kassad und allem anderen in dem Schacht von neuem komplexe Corioliskräfte aufgezwungen wurden. Kassad hing an zerfetztem Metall und zog sich durch einen Riß in der dreifachen Hülle der HS Merrick.
    Er lachte fast, als er das Innere sah. Wer immer das alte Lazarettschiff angegriffen hatte, hatte ganze Arbeit geleistet, hatte die Hülle mit CPBs aufgeschlitzt und zerfetzt, bis die Druckschleusen versagt hatten, Abriegelungseinheiten barsten, weil ferngesteuerte Notfalleinrichtungen überlastet waren und die inneren Schotts zusammenbrachen. Dann hatte das feindliche Schiff Geschosse mit Sprengköpfen, die die Leute von FORCE: Weltraum witzigerweise Kanisterschüsse nannten, in die Eingeweide der Hülle gepumpt. Die Auswirkungen waren in etwa so, als würde man eine Handgranate in einem überfüllten Rattenlabyrinth zünden.
    Licht schien durch tausend Löcher, das da und dort zu bunten Strahlen wurde, wenn der schwebende Dunst aus Staub oder Blut oder Schmiermitteln es brach. Wo Kassad hing und sich im Kreiseln und Schlingern des Schiffes krümmte, konnte er zwei Dutzend oder mehr Leichen sehen, nackt und zerfetzt, die sich sämtlich mit der täuschenden Anmut eines Unterwasserballetts bewegten, die Toten in Nullschwerkraft eigen ist. Die meisten Leichen schwebten inmitten ihrer eigenen kleinen Sonnensysteme aus Blut und Gewebe. Mehrere beobachteten Kassad mit dem karikaturhaften Glotzen vom Druckverlust aufgeblähter Augen und schienen ihm mit gelegentlichen trägen Bewegungen von Armen und Händen zuzuwinken.
    Kassad strampelte sich durch die Trümmer, damit er zum Hauptschacht zur Kommandobrücke gelangen konnte. Er hatte keine Waffen gesehen – es schien, als wäre es außer dem einen Marine keinem gelungen, in einen Anzug zu schlüpfen –, wußte aber, daß sich ein Waffenspind auf der Brücke oder in den Quartieren der Marines achtern befinden mußte.
    Bei der letzten zerfetzten Druckschleuse hielt Kassad inne. Dieses Mal lachte er. Dahinter gab es keinen Hauptschacht mehr, keine Hecksektion. Kein Schiff. Dieser Teil – ein Spierarm und Modul der medizinischen Station, ein verbogenes Stück der Hülle – war einfach vom Rest des Schiffes abgetrennt worden, so wie Beowulf Grendels Arm aus dem Leib gerissen hatte. Das letzte offene Schott des Hauptschachts führte ins All hinaus. Ein paar Klicks entfernt konnte Kassad weitere zerfetzte Trümmer der HS Merrick im Gleißen der Sonne schlingern sehen. Ein grün-türkisfarbener Planet war so nahe, daß Kassad in einem plötzlichen Anfall von Höhenangst sich fester an den Türrahmen klammerte. Vor seinen Augen bewegte sich plötzlich ein Stern über dem Rund des Planeten, Laserwaffen blinkten ihr rubinrotes Morsealphabet, worauf ein abgetrenntes Bruchstück des Schiffs einen

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