Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
einzusperren und zu verpflegen – vielleicht entsprach es auch ihrer grundsätzlichen Verhörweise –, Tatsache war auf jeden Fall, daß man die bressianischen Zivilisten und in Gefangenschaft geratenen FORCE-Soldaten ausgeweidet und auf Stahltabletts gespießt gefunden hatte wie Frösche in einem Biologielabor, die Organe in Nährlösungen getaucht, Arme und Beine amputiert, Augen entfernt und das Gehirn mit kruden Cortikalkomtaps und Nebenschlußsteckern, die durch drei Zentimeter große Löcher in der Schädeldecke führten, auf das Verhör vorbereitet.
Kassad zog sich weiter und schwebte durch Trümmer und die verflochtenen Eingeweide der Schiffsverkabelung. Er hatte nicht die Absicht, sich zu ergeben. Das trudelnde Stück vibrierte und kam etwas zur Ruhe, als sich mindestens ein Tintenfisch an Hülle oder Schott festsetzte. Denk nach! befahl sich Kassad. Dringender als ein Versteck brauchte er eine Waffe. Hatte er auf dem Weg durch das Wrackteil etwas gesehen, das ihm helfen konnte, zu überleben?
Kassad stoppte und hielt sich an einem freiliegenden Stück Faseroptikkabel fest. Die medizinische Station, wo er aufgewacht war, Betten, Fugentanks, Intensivstation ... das meiste war durch den Riß in der Hülle des Spin-Moduls hinausgezogen worden. Spierarmschacht, Fahrstuhlkabine, Leichen auf der Treppe. Keine Waffen. Die meisten Leichen waren durch die Kanisterschußexplosionen oder den plötzlichen Druckverlust entblößt worden. Die Fahrstuhlkabel? Nein, zu lang, unmöglich ohne Werkzeuge zu durchtrennen. Werkzeuge? Er hatte keine gesehen. Die medizinischen Büros am Flur hinter dem Hauptschacht waren aufgerissen. Medizinische Untersuchungszimmer, MRI-Tanks und CPD-Räume waren offen wie geplünderte Sarkophage. Mindestens ein Operationssaal war intakt, das Innere jedoch ein Irrgarten verstreuter Instrumente und frei schwebender Kabel. Das Solarium war entleert worden, als die Bullaugen nach außen explodierten. Patientenzimmer. Ärztezimmer. Vorratskammern, Korridore und unidentifizierbare Kabuffs. Leichen. Leichen. Leichen.
Kassad hing noch einen Moment am Kabel, orientierte sich im kreisenden Labyrinth von Licht und Schatten und stieß sich ab.
Er hatte auf zehn Minuten gehofft. Er bekam nicht einmal acht. Er wußte, die Ousters würden methodisch und zielstrebig vorgehen, hatte aber unterschätzt, wie gut sie in Nullschwerkraft zurechtkamen. Er setzte sein Leben darauf, daß sie immer in Zweiergruppen kommen würden – grundsätzliche Vorgehensweise der Weltraum-Marines; auch die FORCE:Boden-Sprungratten hatten gelernt, beim Städtekrieg zu zweit von Tür zu Tür zu gehen – einer platzte in jeden Raum, während der andere Deckung gab. Wenn es mehr als zwei waren, wenn die Ousters in Dreier- oder Vierergruppen vorgingen, bedeutete es den fast sicheren Tod für Kassad.
Er schwebte mitten im OP 3, als die Ousters zur Tür hereinkamen. Kassads Atemsystem war so gut wie ausgefallen, er schwebte reglos, sog die übelriechende Luft in die Lungen, als der Oustersoldat hereinplatzte, beiseite wich und beide Waffen auf die unbewaffnete Gestalt in dem mitgenommenen Raumanzug der Marines richtete.
Kassad hatte sich darauf verlassen, daß ihm der schlimme Zustand von Anzug und Helmvisier eine oder zwei Sekunden Vorteil verschaffen würden. Hinter der besudelten Visierplatte starrten Kassads Augen blicklos nach oben, als das Brustlicht des Ousters über ihn glitt. Der Soldat hatte zwei Waffen bei sich – einen Ultraschallstunner in einer Hand und eine kleine aber ungleich gefährlichere Strahlenpistole in den langen Zehen des linken ›Fußes‹. Er hob den Ultraschallstunner. Kassad konnte noch den tödlichen Stachel am Greifschwanz erkennen, dann drückte er die Maus im rechten Handschuh des Raumanzugs.
Kassad hatte den größten Teil der acht Minuten dazu gebraucht, den Notstromgenerator mit den Kabeln im OP zu verbinden. Nicht alle chirurgischen Laser hatten überlebt, aber sechs funktionierten noch. Kassad hatte vier auf den Abschnitt gleich links von der Tür gerichtet, und die beiden Knochenschneider rechts davon. Der Ouster war nach rechts gegangen.
Der Anzug des Ouster explodierte. Die Laser schnitten weiter ihre einprogrammierten Kreise, während Kassad sich abstieß, und sich unter den blauen Strahlen hindurchduckte, die nun in einem zunehmend größeren Nebel aus nutzloser Anzugsdichtung und kochendem Blut eindrangen. Er brachte den Ultraschallstunner an sich, als der zweite Ouster sich behende
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