Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Tatenlosigkeit verdammt wurden, opferte Kassad – der den Befehl über sein Regiment und nach der atomaren Bombardierung der Kommandogruppe Delta vorübergehend den Befehl über die Division hatte – Männer, um Zeit zu gewinnen und forderte den Einsatz von Fusionswaffen, um einen Brückenkopf für seinen eigenen Gegenangriff zu schlagen. Als sich die Ousters siebenundneunzig Tage nach der ›Rettung‹ von Bressia zurückzogen, hatte sich Kassad den zweischneidigen Spitznamen ›Schlächter von Südbressia‹ erworben. Man munkelte, daß sogar seine eigenen Soldaten Angst vor ihm hatten.
Und Kassad träumte von ihr, Träume, die mehr – und weniger – als Träume waren.
In der letzten Nacht der Schlacht vom Steinhaufen, wo Kassad und seine Jäger-Killer-Gruppen Ultraschall und T5-Gas eingesetzt hatten, um die letzten Kommandos der Ousters aus dem Labyrinth dunkler Tunnel zu vertreiben, schlief der Oberst inmitten von Flammen und Schreien ein und spürte die Berührung ihrer langen Finger auf den Wangen und den sanften Druck ihrer Brüste an seiner Brust.
Als sie am Morgen nach dem Schlag aus dem Weltall, den Kassad befohlen hatte, in Neu Wien eindrangen, wobei die Soldaten auf den glasglatten, zwanzig Meter breiten Brandspuren in die verwüstete Stadt marschierten, hatte Kassad ohne mit der Wimper zu zucken die beiden Reihen Menschenköpfe betrachtet, die auf den Gehwegen aneinandergereiht worden waren, als sollten sie die Befreiungstruppen von FORCE mit ihren vorwurfsvollen Blicken begrüßen. Kassad war in sein Kommando-EMV zurückgekehrt, hatte die Schotts dichtgemacht, sich in der warmen, nach Gummi, überhitztem Plastik und aufgeladenen Ionen riechenden Dunkelheit zusammengerollt und ihr Flüstern über das Murmeln der C3-Kanäle und die Implantatcodierungen hinweg gehört.
In der Nacht vor dem Rückzug der Ousters verließ Kassad die Stabsbesprechung an Bord der HS Brasilien, farcastete in sein HQ in den ›Unauslöschlichen‹ nördlich des Hynetals und fuhr mit dem Befehlshaberwagen zum Berggipfel, um das letzte Bombardement zu beobachten. Der nächste der taktischen Kernwaffenwerfer war fünfundvierzig Kilometer entfernt. Die Plasmabomben erblühten wie orangefarbene und blutrote Blumen, die in einem perfekten Gittermuster gepflanzt worden waren.
Kassad zählte über zweihundert tanzende Säulen grünen Lichts, als die Lanzen der Höllenpeitschen das Terrain zerfetzten. Und noch ehe er schlief, als er auf der Schubdüse des EMV saß und kopfschüttelnd versuchte, leuchtende Geisterbilder hinter den Augen zu vertreiben, kam sie. Sie trug ein hellblaues Kleid, schritt leichtfüßig zwischen verdorrten Burrpflanzen auf dem Hügel dahin. Der Wind hob den Saum des leichten Stoffs ihres Kleids. Ihr Gesicht und ihre Arme waren blaß, fast durchscheinend. Sie rief seinen Namen – er konnte die Worte beinahe hören –, dann rollte die zweite Feuersalve über die Ebene unter ihm und alles ging in Lärm und Flammen unter.
Wie es in einem Universum, das offenbar von der Ironie beherrscht wird, manchmal geschieht, überstand Fedmahn Kassad siebenundneunzig Tage der schlimmsten Kämpfe, die die Hegemonie je erlebt hatte, ohne einen Kratzer abzubekommen, wurde jedoch zwei Tage nachdem die letzten Ousters zu ihren fliehenden Schwarmschiffen zurückgekehrt waren, verwundet. Er befand sich im öffentlichen Verwaltungszentrum in Buckminster, einem von nur drei Gebäuden, die in der Stadt noch standen, und gab brüske Antworten auf die dummen Fragen eines Nachrichtenreporters aus dem Weltennetz, als eine Plasmafalle, die nicht größer als ein Mikrochip war, fünfzehn Stockwerke weiter oben explodierte, den Reporter und zwei von Kassads Attachés durch das Ventilatorgitter auf die Straße hinauspustete und das Gebäude über ihm zusammenstürzen ließ.
Kassad wurde ins Divisions-HQ gebracht und dann an Bord des Sprungschiffes gefarcastet, das sich im Orbit um Bressias zweiten Mond befand. Dort wurde er wiederbelebt und ans Lebenserhaltungssystem angeschlossen, während hohe Militärs und Politiker der Hegemonie entschieden, was sie mit ihm machen sollten.
Aufgrund der Farcasterverbindung und der Echtzeit-Medienberichterstattung von Bressia war Oberst Fedmahn Kassad eine Art cause célèbre geworden. Die Milliarden, die von der beispiellosen Brutalität des Feldzugs auf Südbressia abgestoßen waren, hätten es gerne gesehen, wenn Kassad vor ein Kriegsgericht gestellt oder wegen Kriegs verbrechen angeklagt
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