Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Welt, Lampenschein zwischen Laub, uralte Universitätsgebäude aus Backsteinen; God's Grove mit den Fesselballons und schwebenden Zeppelinen, die die Dämmerung begrüßten; Heaven's Gate mit seiner Promenade ... das alles waren Ziele der ersten Angriffs woge. Sie schüttelte den Kopf.
»Leigh, ich möchte, daß Sie und Tarra und Brindenath die Rohfassungen beider Ansprachen – für das Volk und die Kriegserklärung – binnen fünfundvierzig Minuten auf meinem Schreibtisch haben. Kurz. Leicht verständlich. Sehen Sie unter Churchill und Strudensky im Archiv nach. Realistisch und trotzig, optimistisch, aber voll grimmiger Entschlossenheit. Niki, ich brauche Echtzeitübertragungen aller Maßnahmen, die die Stabschefs anordnen. Ich möchte meine eigenen strategischen Kartendisplays – durch mein Implantat übermittelt. Vertraulich. Barbre, Sie werden im Senat meine Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln sein. Gehen Sie rein, reden Sie, ziehen Sie Fäden, bestechen Sie, beschwören Sie und machen Sie ihnen sonstwie klar, daß es sicherer wäre, jetzt auszuziehen und die Ousters zu bekämpfen als mir bei den kommenden drei oder vier Abstimmungen in die Quere zu kommen.
Jemand Fragen?« Gladstone wartete drei Sekunden, dann klatschte sie in die Hände. »Na gut, dann ans Werk, Leute!«
In der kurzen Pause bevor die nächste Woge Senatoren, Minister und Attachés eintrafen, drehte sich Gladstone zu der kahlen Wand über ihr um, hob den Finger zur Decke und schüttelte die Hand.
Sie drehte sich wieder zurück, als gerade die nächste Schar Würdenträger hereingescheucht wurde.
25
Sol, der Konsul, Pater Duré und der bewußtlose Het Masteen befanden sich im ersten Höhlengrab, als sie die Schüsse hörten. Der Konsul ging allein hinaus – langsam, vorsichtig – und hielt Ausschau nach dem Sturm der Zeitgezeiten, der sie tiefer in das Tal hineingetrieben hatte.
»Alles in Ordnung«, rief er zurück. Der fahle Schein von Sols Laterne beleuchtete den hinteren Teil der Höhle und offenbarte drei blasse Gesichter und das verhüllte Bündel, das der Tempelritter war. »Die Gezeiten haben nachgelassen«, rief der Konsul.
Sol stand auf. Das Gesicht seiner Tochter war ein blasses Oval unter seinem eigenen. »Sicher, daß die Schüsse aus Brawnes Waffe stammten?«
Der Konsul deutete hinaus in die Dunkelheit. »Sonst hat keiner eine Projektilwaffe bei sich gehabt. Ich gehe nachsehen.«
»Halt!« sagte Sol. »Ich begleite Sie.«
Pater Duré blieb kniend neben Het Masteen. »Nur zu. Ich bleibe bei ihm.«
»Einer von uns wird sich in den nächsten paar Minuten bei Ihnen melden«, versprach der Konsul.
Das Tal glomm im fahlen Licht der Zeitgräber. Wind toste von Süden, aber der Luftstrom lag diesen Abend höher, über den Felswänden, daher wurden die Dünen am Talboden nicht bewegt. Sol folgte dem Konsul, der den unebenen Pfad zur Talsohle hinabschritt und sich dann Richtung Taleingang wandte. Gelinde Anflüge von déjà vu erinnerten Sol an die heftigen Zeitgezeiten vor einer Stunde, aber allmählich ließen sogar die Nachwirkungen dieses bizarren Sturms nach.
Wo der Pfad breiter wurde und in den Talboden überging, schritten Sol und der Konsul nebeneinander am verkohlten Schlachtfeld des Kristallmonolithen vorbei, von dessen Struktur ein milchiges Leuchten ausging, das von den zahllosen Scherben reflektiert wurde, die auf dem Talboden verteilt lagen, dann ein wenig in die Höhe und am Jadegrab mit seiner hellgrünen Phosphoreszenz vorbei, und dann bogen sie wieder ab und folgten den sanften Kurven, die zur Sphinx führten.
»Mein Gott«, flüsterte Sol, hastete los und versuchte, dem schlafenden Kind in der Trage nicht weh zu tun. Er kniete neben der dunklen Gestalt auf der obersten Stufe nieder.
»Brawne?« fragte der Konsul, der zwei Stufen weiter unten stehenblieb und nach dem plötzlichen Anstieg keuchend atmete.
»Ja.« Sol wollte ihren Kopf heben, aber seine Hand zuckte zurück, als er etwas Glitschiges und Kaltes ertastete, das aus ihrem Schädel ragte.
»Ist sie tot?«
Sol hielt den Kopf seiner Tochter dichter an die Brust, während er am Hals der Frau nach dem Puls tastete. »Nein«, sagte er und holte tief Luft. »Sie lebt ... aber sie ist bewußtlos. Geben Sie mir Ihr Licht.«
Sol nahm die Taschenlampe, ließ den Lichtkegel über Brawne Lamias liegende Gestalt wandern und folgte dem silbernen Kabel – ›Tentakel‹ wäre eine bessere Beschreibung gewesen, da dem Ding eine
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