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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gründlich nach Spuren von Schlangen um und ließ die Matte dann wieder sinken, bis sie fünf Meter über dem Gras schwebte. Er holte vorsichtig das Seil heraus, zog eine Schlinge, robbte zum vorderen Teil des Teppichs und band mehrere Schlaufen um diesen herum, wobei er darauf achtete, daß er genügend Raum ließ, damit er darunterkriechen konnte, bevor er den Knoten festband.
    Wenn die Matte abstürzte, wäre diese Sicherung mehr als nutzlos, aber die Seilschlingen an seinem Rücken vermittelten ihm ein Gefühl der Sicherheit, als er sich wieder nach vorn beugte, die Flugmuster abtastete, den Teppich auf vierzig Meter Höhe brachte und die Wange auf den warmen Stoff legte. Sonnenlicht schien ihm zwischen den Fingern hindurch, und er stellte fest, daß er an den bloßen Unterarmen einen schrecklichen Sonnenbrand bekam.
    Er war zu müde, sich nochmals aufzurichten und die Ärmel herunterzukrempeln.
    Leichter Wind kam auf. Der Konsul hörte unter sich das Rascheln und Zischeln, wenn das Gras sich wiegte oder etwas Großes vorbeikroch.
    Er war so müde, daß er sich nicht darum kümmerte. Er schloß die Augen und war nach nicht einmal dreißig Sekunden eingeschlafen.
     
    Der Konsul träumte von seiner Heimat – seiner wirklichen Heimat – auf Maui-Covenant, und der Traum war farbenfroh: der endlose blaue Himmel, das Südmeer, so weit das Auge reichte, dessen Ultramarin zu Grün verblaßte, wo die äquatorialen Untiefen anfingen, das erstaunliche Grün und Gelb und die Rottöne der schwimmenden Inseln, die von den Delphinen nach Norden begleitet wurden ... Seit der Invasion der Hegemonie während der Kindheit des Konsuls waren sie ausgestorben, aber in seinem Traum lebten sie noch und brachen mit gewaltigen Sprüngen durch die Wasseroberfläche, bei denen tausend Lichtprismen in der klaren Luft funkelten.
    In seinem Traum war der Konsul wieder ein Kind und stand auf der höchsten Ebene eines Baumhauses auf ihrer Insel der Ersten Familie. Großmutter Siri stand neben ihm – nicht die königliche Grande Dame, die er gekannt hatte, sondern die wunderschöne junge Frau, die sein Großvater kennengelernt und in die er sich verliebt hatte. Die Baumsegel flatterten, als die Südwinde aufkamen und die Herde der schwimmenden Inseln in präziser Formation durch die blauen Kanäle zwischen den Untiefen trieben. Am nördlichen Horizont konnte er gerade noch die ersten Inseln des Äquatorialarchipels erkennen, die grün und dauerhaft in den Abendhimmel aufragten.
    Siri berührte ihn an der Schulter und deutete nach Westen.
    Die Inseln brannten, gingen unter, ihre Labwurzeln zuckten vor qualvollen Schmerzen. Die Delphinherden waren verschwunden. Feuer regnete vom Himmel. Der Konsul sah Laserlanzen von Milliarden Volt, die die Luft versengten und blaugraue Schemen auf den Netzhäuten hinterließen. Unterwasserexplosionen erhellten die Meere und schleuderten Tausende Fische und empfindliche Meerestiere in Todeskrämpfen an die Oberfläche.
    »Warum?« fragte Großmutter Siri, aber ihre Stimme war das leise Flüstern eines Teenagers.
    Der Konsul wollte ihr antworten, konnte es aber nicht. Tränen blendeten ihn. Er griff nach ihrer Hand, aber sie war nicht mehr da, und das Wissen, daß sie fort war, daß er seine Sünden nie wieder gut machen konnte, schmerzte ihn so sehr, daß es ihm schwerfiel zu atmen. Empfindungen schnürten ihm die Kehle zu. Dann merkte er, daß Rauch ihm in den Augen brannte und in die Lunge drang; die Insel der Familie stand in Flammen.
    Das Kind, das Konsul werden sollte, stolperte durch die blauschwarze Dunkelheit und suchte blind nach jemandem, der ihm die Hand hielt, ihn tröstete.
    Eine Hand legte sich um seine. Es war nicht die von Siri. Der Druck dieser Hand war unvorstellbar fest. Die Finger waren Klingen.
     
    Der Konsul erwachte stöhnend.
    Es war dunkel. Er hatte mindestens sieben Stunden geschlafen. Er wand sich in dem Seil, richtete sich auf und sah auf das Komlogdisplay.
    Zwölf Stunden. Er hatte zwölf Stunden geschlafen.
    Jeder Muskel in seinem Körper tat weh, als er sich seitwärts beugte und nach unten sah. Die Schwebematte hielt eine konstante Höhe von vierzig Metern, aber er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Unten erstreckten sich flache Berge. Einige mußte die Matte in nur drei oder vier Metern Höhe überquert haben; orangefarbenes Gras und Flechten wuchsen in unregelmäßigen Büschen.
    Irgendwann war er im Verlauf der vergangenen Stunden über das Südufer des Grasmeers

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