Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
trudelnde Masse der Schwebematte, und so stürzte er mit dieser zusammen die letzten zwanzig Meter auf die harte Oberfläche des Hoolie.
29
Sol Weintraub hatte in der Nacht, als der Konsul aufbrach, die allergrößten Hoffnungen. Endlich unternahmen sie etwas. Oder versuchten es zumindest. Sol glaubte nicht, daß die kryonischen Kammern im Schiff des Konsuls die Lösung für Rachels Rettung sein würden – medizinische Experten auf Renaissance Vector hatten auf die außerordentlichen Gefahren dieser Vorgehensweise hingewiesen –, aber es war gut, eine Alternative zu haben ... irgendeine Alternative. Und Sol war der Meinung, daß sie lange genug untätig gewesen waren und auf die Launen des Shrike gewartet hatten wie verurteilte Verbrecher auf die Guillotine.
Das Innere der Sphinx schien in dieser Nacht gefährlich zu sein, daher schaffte Sol ihre Habseligkeiten auf die breite Granitveranda des Grabs hinaus, wo er und Duré versuchten, es Masteen und Brawne mit Decken und Mänteln und Rucksäcken als Kissen so bequem wie möglich zu machen. Brawnes Medmonitore zeigten nach wie vor keinerlei Gehirntätigkeit, während ihr Körper behaglich ruhte. Masteen wälzte und wand sich im Griff des Fiebers.
»Was, meinen Sie, hat der Tempelritter?« fragte Duré. »Eine Krankheit?«
»Könnte auch schlicht und ergreifend Unterernährung sein«, erwiderte Sol. »Nachdem er vom Windwagen entführt wurde, mußte er durch das Ödland und das Tal der Zeitgräber wandern. Er aß Schnee, um Flüssigkeit zu bekommen, und hatte überhaupt keine Nahrung.«
Duré nickte und untersuchte das FORCE-Medpack, das sie an der Innenseite von Masteens Arm befestigt hatten. Die Anzeigen verrieten das konstante Tröpfeln einer intravenösen Lösung. »Aber mir scheint es etwas anderes zu sein«, sagte der Jesuit. »Eher Wahnsinn.«
»Tempelritter besitzen eine fast telepathische Verbindung zu ihren Baumschiffen«, sagte Sol. »Die Stimme des Baums muß Masteen schon verrückt gemacht haben, als er die Zerstörung der Yggdrasil mitansehen mußte. Besonders wenn er irgendwie wußte, daß sie notwendig war.«
Duré nickte und tupfte dem Tempelritter die wächserne Stirn mit einem Schwamm ab. Es war nach Mitternacht, Wind war aufgekommen, der um die Schwingen und unebenen Kanten der Sphinx heulte und den karmesinroten Staub in trägen Spiralen aufwirbelte. Die Gräber erstrahlten hell und wurden dann dunkler, ein Grab nach dem anderen, ohne ersichtliche Reihenfolge oder Ordnung. Gelegentlich setzte der Sog der Zeitgezeiten beiden Männern zu, so daß sie stöhnten und sich am Stein festklammerten, aber die Wogen von déjà vu und Schwindelgefühl ließen nach wenigen Augenblicken wieder nach.
Da Brawne Lamia durch das mit ihrem Schädel verschweißte Kabel mit der Sphinx verbunden war, konnten sie nicht gehen.
Irgendwann vor der Dämmerung brachen die Wolken auf, und der Himmel wurde sichtbar; die dichten Sternbilder wirkten in ihrer Klarheit fast schmerzlich. Eine Zeitlang waren Fusionsstreifen – schmale Diamantkratzer auf der Glasscheibe der Nacht – die einzigen Hinweise auf die gewaltigen kriegführenden Flotten da oben, aber dann entfalteten sich wieder die Blüten ferner Explosionen, und binnen einer Stunde wurde das Leuchten der Zeitgräber von den Ausbrüchen am Himmel überstrahlt.
»Was meinen Sie, wer wird siegen?« fragte Pater Duré. Die beiden Männer saßen mit den Rücken an der Steinmauer der Sphinx und sahen zu dem Abschnitt des Himmels empor, der zwischen den vorwärts gekrümmten Schwingen des Grabs zu sehen war.
Sol streichelte Rachel, die auf dem Bauch schlief und unter der Decke den Po hochstreckte, den Rücken. »Nach dem, was die anderen sagen, scheint vorherbestimmt zu sein, daß das Netz einen schrecklichen Krieg erdulden muß.«
»Demnach glauben Sie an die Vorhersagen des KI-Ratskonzils?«
Sol zuckte die Achseln. »Ich weiß eigentlich nichts über Politik ... oder die Genauigkeit von Vorhersagen des Core. Ich bin ein unbedeutender Gelehrter an einem kleinen College auf einer Hinterwäldlerwelt. Aber ich habe das Gefühl, daß uns etwas Schreckliches bevorsteht ... daß eine grimmige Bestie gen Bethlehem in ihre Geburt schlampt.«
Duré lächelte. »Yeats«, sagte er. Das Lächeln erlosch. »Ich vermute, dieser Ort ist das neue Bethlehem.« Er sah das Tal hinab zu den leuchtenden Gräbern. »Ich habe mein Leben lang die Theorien St. Teilhards über die Evolution hin zum Punkt Omega gelehrt. Statt
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