Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
zurückzubringen?«
Duré schwieg einen Augenblick lang. Dann ergriff er Sol am Oberarm. »Ich glaube, ich mache einen Spaziergang.«
»Wohin?« Sol sah blinzelnd in die stehende Hitze des Wüstennachmittags hinaus. Unter der dünnen Wolkendecke war das Tal wie ein Backofen.
Der Priester machte eine unbestimmte Geste. »Das Tal hinab. Ich bin bald wieder da.«
»Seien Sie vorsichtig«, sagte Sol. »Und vergessen Sie nicht, wenn der Konsul über dem Hoolie auf einen Patrouillengleiter trifft, könnte er schon heute nachmittag zurück sein.«
Duré nickte, holte eine Wasserflasche und streichelte Rachel zärtlich; dann schritt er die lange Treppe der Sphinx hinab – vorsichtig und zaghaft, wie ein sehr alter Mann.
Sol sah ihm nach, wie er immer kleiner wurde und Entfernung und Hitzeflimmern seine Gestalt verzerrten. Dann seufzte Sol und setzte sich wieder neben seine Tochter.
Paul Duré versuchte, sich im Schatten zu halten, aber selbst hier war die Hitze niederdrückend und lag ihm wie ein schweres Joch auf den Schultern. Er ging am Jadegrab vorbei und folgte dem Pfad zu den nördlichen Felsklippen und dem Obelisken. Der schlanke Schatten dieses Grabs malte Dunkelheit auf das rötliche Gestein und den Staub auf dem Talboden. Duré ging weiter abwärts, schritt durch die Trümmer rund um den Kristallmonolithen und blickte auf, als ein schwacher Wind zerschellte Scheiben bewegte und durch Risse hoch oben im Antlitz des Grabes pfiff. Er sah sein Spiegelbild in den unteren Flächen und mußte an das Orgelspiel des Abendwinds denken, der aus der Kluft wehte, als er die Bikura hoch oben auf dem Pinion-Plateau gefunden hatte. Das schien Äonen her zu sein. Es war Äonen her. Duré spürte die Schäden, die die Rekonstruktion durch die Kruziform seinem Verstand und seiner Erinnerung angetan hatte. Es war zum Verrücktwerden – so, als hätte man einen Schlaganfall gehabt und keine Hoffnung auf Besserung. Ausführungen, die einmal ein Kinderspiel für ihn gewesen wären, erforderten jetzt höchste Konzentration oder lagen schlichtweg außerhalb seiner Fähigkeiten. Worte fielen ihm nicht ein. Emotionen überkamen ihn mit derselben unvermittelten Heftigkeit wie die Gezeiten der Zeit. Mehrmals hatte er sich von den anderen Pilgern entfernen müssen und weinte in seiner Abgeschiedenheit ohne ersichtlichen Grund.
Die anderen Pilger. Jetzt waren nur noch Sol und das Kind übrig. Pater Duré hätte mit Freuden sein Leben hingegeben, wenn er diese beiden hätte retten können. War es eine Sünde, fragte er sich, wenn man einen Tauschhandel mit dem Antichrist versuchen wollte?
Er befand sich jetzt tief im Tal, fast an der Stelle, wo es sich ostwärts zu der breiten Sackgasse krümmte, in der der Palast des Shrike sein Labyrinth der Schatten auf die Felsen warf. Der Pfad führte dicht an der Nordwestwand an den Höhlengräbern vorbei. Duré spürte den kühlen Luftzug aus dem ersten Höhlengrab und war versucht, es zu betreten, um sich von der Hitze zu erholen, die Augen zu schließen und ein Nickerchen zu machen.
Er ging weiter.
Der Eingang des zweiten Grabes wies barocke Bildhauereien im Stein auf, die Duré an die uralte Basilika erinnerten, die er in der Kluft gefunden hatte – das gewaltige Kreuz und der Altar, wo die verblödeten Bikura ›gebetet‹ hatten. Sie hatten die obszöne Unsterblichkeit der Kruziform angebetet, nicht die Möglichkeit wahrhaftiger Wiederauferstehung, die das Kreuz versprach. Aber wo lag der Unterschied? Duré schüttelte den Kopf und versuchte, Nebel und Zynismus zu vertreiben, die jeden Gedanken umwölkten. Nach dem dritten Höhlengrab, dem kürzesten und unscheinbarsten der drei, stieg der Pfad an.
Im dritten Höhlengrab schien Licht.
Duré blieb stehen, holte Luft und sah durch das Tal zurück. Die fast einen Kilometer entfernte Sphinx war deutlich zu sehen, aber Sol konnte er im Schatten nicht erkennen. Einen Augenblick lang fragte sich Duré, ob sie tags zuvor im dritten Grab ihr Lager aufgeschlagen hatten ... ob jemand eine Laterne dort vergessen hatte.
Es war nicht das dritte Grab gewesen. Abgesehen von der Suche nach Kassad, hatte seit drei Tagen niemand mehr dieses Grab betreten.
Pater Duré wußte, er sollte dem Licht keine Beachtung schenken, zu Sol zurückkehren und bei dem Mann und seiner Tochter Wache halten.
Aber das Shrike ist jedem anderen einzeln erschienen. Warum sollte ich mich dem Ruf entziehen?
Duré spürte Feuchtigkeit auf den Wangen und stellte fest, daß
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