Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
er lautlos und sinnlos weinte. Er wischte die Tränen grob mit dem Handrücken weg und stand mit geballten Fäusten da.
Mein Intellekt war mein höchstes Gut. Ich war der intellektuelle Jesuit, sicher in der Tradition von Teilhard und Prassard verankert. Selbst die Theologie, die ich der Kirche, den Seminarteilnehmern und den wenigen anderen nahebrachte, die noch zuhörten, betonte den Intellekt, den wunderbaren Punkt Omega des Denkens. Gott als kluger Algorithmus.
Nun, manches läßt sich intellektuell nicht erfassen, Paul.
Duré betrat das dritte Höhlengrab.
Sol erwachte erschrocken und war überzeugt, daß sich jemand anschlich.
Er sprang auf die Füße und sah sich um. Rachel gab leise Geräusche von sich, da sie zur selben Zeit wie ihr Vater aus dem Nickerchen erwacht war. Brawne Lamia lag reglos, wo er sie zurückgelassen hatte, die medizinischen Anzeigen leuchteten immer noch grün, aber die Hirnwellenaktivität zeigte nur eine flache rote Linie.
Er hatte mindestens eine Stunde lang geschlafen; die Schatten waren über den Talboden gewandert, lediglich die Spitze der Sphinx lag noch im Sonnenschein, wo die Sonne durch die Wolken schien. Schräge Lichtschächte fielen durch den Taleingang herein und erhellten die Felswände gegenüber. Wind kam auf.
Aber im Tal bewegte sich nichts.
Sol hob Rachel hoch, wiegte sie, weil sie schrie, rief die Stufen hinunter und sah hinter der Sphinx nach den anderen Gräbern.
»Paul!« Seine Stimme hallte von Fels wider. Der Wind wirbelte hinter dem Jadegrab Staub auf, aber sonst regte sich nichts. Sol hatte immer noch das Gefühl, daß sich etwas an ihn anschlich, daß er beobachtet wurde.
Rachel schrie und wand sich in seinem Griff, ihre Stimme war das gepreßte, schrille Wimmern eines Neugeborenen. Sol sah auf sein Komlog. In einer Stunde würde sie einen Tag alt sein. Er suchte am Himmel nach dem Schiff des Konsuls, verfluchte sich selbst leise und ging wieder zum Eingang der Sphinx, wo er dem Baby die Windeln wechselte, nach Brawne sah, ein Nahrungspack aus dem Rucksack holte und sich einen Mantel nahm. Wenn die Sonne untergegangen war, wurde es schnell kalt.
In der halben Stunde Dämmerung, die noch verblieb, schritt Sol rasch das Tal hinab, rief Durés Namen und sah in die Gräber, ohne sie zu betreten. Am Jadegrab vorbei, dessen Fassade bereits milchiggrün zu leuchten anfing; dort war Hoyt ermordet worden. Am dunklen Obelisken vorbei, dessen Schatten hoch auf die südöstliche Felswand geworfen wurde. Am Kristallmonolithen vorbei, auf dessen Spitze das letzte Tageslicht leuchtete, das erlosch, als die Sonne irgendwohinter der Stadt der Dichter unterging. In der unvermittelten Kälte und Stille des Abends an den Höhlengräbern vorbei, wo Sol in jedes hineinrief und klamme Luft im Gesicht spürte wie kalten Atem aus einem offenen Mund.
Keine Antwort.
Im letzten Licht der Dämmerung um die Krümmung des Tals zum klingen- und zinnenbewehrten Chaos des Shrike-Palastes, der in der zunehmenden Düsternis dunkel und geheimnisvoll aussah. Sol stand am Eingang und versuchte, den Sinn der pechschwarzen Schatten, Türme, Zinnen und Säulen zu ergründen; er schrie in das dunkle Innere – nur sein Echo antwortete. Rachel fing wieder an zu weinen.
Sol zitterte, spürte Gänsehaut im Nacken und drehte sich ständig unvermittelt um, damit er den unsichtbaren Beobachter überraschen konnte, erblickte aber nur dunkle Schatten und die ersten Sterne der Nacht zwischen den Wolken am Himmel; er eilte das Tal entlang zurück zur Sphinx, zuerst mit schnellen Schritten, und schließlich rannte er beinahe am Jadegrab vorbei, als der Abendwind mit einem Geräusch wie Kindergeschrei aufkam.
»Gottverdammt!« keuchte Sol, als er die Treppe der Sphinx hinaufgestürmt war.
Brawne Lamia war fort. Weder von ihr selbst noch von der metallenen Nabelschnur war etwas zu sehen.
Sol fluchte, drückte Rachel fest an sich und kramte im Rucksack nach einer Taschenlampe.
Zehn Meter im mittleren Flur fand Sol die Decke, in die Brawne gewickelt gewesen war. Dahinter nichts mehr. Die Korridore verzweigten sich und bildeten Kurven, wurden breiter, dann niederer, wenn die Decke schräg nach unten verlief, so daß Sol kriechen mußte, wobei er das Baby im rechten Arm hielt, so daß ihre Wange an seiner lag. Es mißfiel ihm, in diesem Grab zu sein. Sein Herz schlug so heftig, daß er halb damit rechnete, er würde hier und jetzt einen Infarkt bekommen.
Der letzte Korridor verjüngte sich zum
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