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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Schreibpapier gekritzelt hatte –, eine griechische Leier, bei der vier der acht Saiten zerrissen waren. Hunt war nicht zufrieden, als er fertig war – er war noch weniger Künstler als Leser von Poesie –, aber jeder, der überhaupt wußte, was eine griechische Leier war, konnte es wahrscheinlich erkennen. Dann kam die Inschrift selbst, die er präzise schrieb wie Keats sie diktiert hatte:
     
    HIER LIEGT EINER,
DESSEN NAME
IN WASSER GESCHRIEBEN WAR
     
    Sonst nichts: Kein Geburts- oder Todesdatum, nicht einmal der Name des Dichters. Hunt trat zurück, betrachtete sein Werk, schüttelte den Kopf, schaltete den Schreiber ab, behielt ihn aber in der Hand und machte sich auf den Rückweg zur Stadt, wobei er einen großen Bogen um das Geschöpf unter den Zypressen machte. Am Tunnel durch die Aurelische Mauer blieb er stehen und sah noch einmal zurück. Das Pferd, das immer noch an den Wagen gebunden war, hatte sich den langen Hügel hinabbewegt, damit es am süßeren Gras in der Nähe eines Bächleins weiden konnte. Die Schafe liefen herum, fraßen die Blumen und hinterließen Spuren im feuchten Erdreich des Grabes. Das Shrike blieb, wo es war, unter dem Dach der Zypressenzweige fast unsichtbar. Hunt war fast überzeugt, daß das Ding nur das Grab im Auge behielt.
    Am Spätnachmittag fand Hunt den Farcaster, ein stumpfes, dunkelblaues Rechteck, das genau im Zentrum des verfallenden Kolosseums waberte. Ein Diskey oder eine Tastatur waren nicht zu sehen. Das Portal hing da wie eine milchige, aber offene Tür.
    Aber nicht offen für Hunt.
    Er versuchte es immer wieder, aber die Oberfläche war hart und unerbittlich wie Stein. Er berührte sie zögernd mit den Fingerspitzen, trat zuversichtlich hinein und prallte von der Oberfläche ab, warf sich gegen das blaue Rechteck, schleuderte Steine darauf und sah sie abprallen, versuchte es auf beiden Seiten und sogar an den Rändern des Dings und sprang zuletzt immer und immer wieder gegen das nutzlose Gerät, bis seine Schultern und Oberarme von Blutergüssen übersät waren.
    Es war ein Farcaster. Er war ganz sicher. Aber der Farcaster ließ ihn nicht durch.
    Hunt suchte den Rest des Kolosseums ab, sogar die unterirdischen Gänge voller Feuchtigkeit und Fledermauskot, aber er fand kein anderes Portal. Er durchsuchte die umliegenden Straßen und sämtliche Gebäude. Kein anderes Portal. Er suchte den ganzen Nachmittag in der Basilika und den Kathedralen, Häusern und Hütten, feudalen Wohnhäusern und schmalen Gassen. Er kehrte zur Piazza di Spagna zurück, nahm im ersten Stock eine hastige Mahlzeit zu sich, steckte das Notizbuch und alles andere Interessante ein, das er in den Zimmern fand, und verließ das Gebäude dann für immer, um einen Farcaster zu suchen.
    Der im Kolosseum war der einzige, den er finden konnte. Bei Sonnenuntergang hatte er daran gekrallt, bis seine Finger blutig waren. Er sah richtig aus. Er summte richtig, er schien richtig zu sein, aber er ließ Hunt nicht durch.
    Ein Mond war aufgegangen und hing über der schwarzen Kolosseummauer, aber es war nicht der Mond der Alten Erde, wie man an den Staubstürmen und über seine Oberfläche wandernden Wolken erkennen konnte. Hunt saß im steinigen Zentrum und warf dem blau leuchtenden Portal finstere Blicke zu. Irgendwo hinter ihm ertönte der hektische Flügelschlag von Tauben und das Prasseln kleiner Kiesel auf Stein.
    Hunt erhob sich unter Schmerzen, holte den Laserschreiber aus der Tasche, stand breitbeinig da, wartete und bemühte sich, in die Schatten der zahlreichen Nischen und Erker des Kolosseums zu sehen. Nichts regte sich.
    Als plötzlich Lärm hinter ihm ertönte, wirbelte Hunt herum und hätte mit dem Strahl beinahe auf die Oberfläche des Farcasterportals gefeuert. Dort wurde ein Arm sichtbar. Dann ein Bein. Eine Person kam durch. Dann noch eine.
    Hunts Rufe hallten im Kolosseum wider.
     
    Meina Gladstone hatte gewußt, es wäre ein Fehler, auch nur dreißig Minuten zu schlafen, obwohl sie sterbensmüde war. Aber sie hatte sich seit der Kindheit angewöhnt, Schlummerphasen von fünf bis fünfzehn Minuten einzulegen und in diesen kurzen Denkpausen die Toxine von Erschöpfung und Müdigkeit abzuschütteln.
    Jetzt, halb krank vor Erschöpfung und dem Schwindelgefühl der wirren achtundvierzig vergangenen Stunden, legte sie sich für ein paar Minuten auf das Sofa in ihrem Arbeitszimmer, verdrängte Triviales und Nebensächlichkeiten aus ihrem Denken und ließ ihr Unterbewußtsein einen Weg durch den

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