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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und die anderen eintrafen, um ihn zurückzugeleiten. Duré machte die Augen zu und erinnerte sich an das männliche, aber sanfte Gesicht, die Mandelaugen, den archaischen Dialekt.
    Pater Paul Duré von der Gesellschaft Jesu richtete sich auf, quälte sich auf die Beine, stellte fest, daß seine Kleidung fort war und er nur den Krankenhauspyjama aus Papier trug, schlang ein Laken um sich und schlurfte barfuß davon, ehe die Ärzte auf die Meldesensoren reagieren konnten.
    Am anderen Ende des Flurs hatte er einen Farcaster nur für Ärzte gesehen. Wenn der ihn nicht nach Hause brachte, würde er eben einen anderen suchen.
     
    Leigh Hunt trug Keats' Leichnam aus dem Schatten des Gebäudes ins Sonnenlicht der Piazza di Spagna und rechnete damit, daß das Shrike auf ihn warten würde. Statt dessen wartete ein Pferd. Hunt war kein Experte darin, Pferde zu erkennen, da die Gattung in seiner Zeit ausgestorben war, aber dies schien dasselbe zu sein, das sie nach Rom gebracht hatte. Bei der Identifizierung half, daß das Pferd vor denselben kleinen Karren gespannt war – Keats hatte ihn eine vettura genannt –, in dem sie schon einmal gefahren waren.
    Hunt beförderte den Leichnam auf den Sitz der Droschke, faltete sorgfältig die Leintücher um ihn herum, berührte mit einer Hand noch das Leichentuch und ging nebenher, als der Karren sich langsam in Bewegung setzte. In seinen letzten Stunden hatte Keats darum gebeten, daß man ihn auf dem protestantischen Friedhof in der Nähe der Aurelischen Mauer und der Pyramide des Gaius Cestius begraben sollte. Hunt konnte sich vage daran erinnern, daß sie im Verlauf der bizarren Reise hierher die Aurelische Mauer passiert hatten, aber er hätte sie nicht wiederfinden können, wenn sein Leben davon abhängig gewesen wäre – oder Keats' Begräbnis. Das Pferd indessen schien den Weg ohnedies zu kennen.
    Hunt stapfte neben dem langsamen Gefährt dahin und bemerkte die wunderbare frühlingshafte Morgenluft und einen unterschwelligen Geruch wie von verfaulender Vegetation. Konnte es sein, daß Keats' Leichnam schon in Verwesung übergegangen war? Hunt wußte wenig von den Einzelheiten des Todes; und er wollte auch nicht mehr erfahren. Er schlug dem Pferd auf die Flanke, damit es schneller ginge, aber das Tier blieb stehen, drehte sich langsam um, maß Hunt mit einem vorwurfsvollen Blick und setzte dann seine gemächliche Gangart fort.
    Es war mehr ein aus dem Augenwinkel wahrgenommenes Funkeln als irgendwelche Geräusche, das Hunt aufmerksam machte, aber als er sich rasch umdrehte, war das Shrike da – zehn oder fünfzehn Meter hinter ihm hatte es sich der Geschwindigkeit des Pferdes mit einer feierlichen, aber irgendwie komischen Gangart angepaßt und hob bei jedem Schritt die dornigen, stachligen Knie hoch. Sonnenlicht funkelte auf Panzer, Metallzähnen und Klingen.
    Hunts erster Impuls war, den Wagen im Stich zu lassen und wegzulaufen, aber Pflichtgefühl und das tiefergreifende Gefühl, sich verirrt zu haben, unterdrückten diesen Impuls. Wohin konnte er laufen als zurück zur Piazza di Spagna – und das Shrike versperrte den einzigen Weg.
    Hunt akzeptierte die Kreatur als einen Trauergast in dieser irrsinnigen Prozession, drehte dem Monster den Rücken zu und ging weiter neben der Droschke her, wobei er mit einer Hand fest den Knöchel des Freundes unter dem Leichentuch umklammert hielt.
    Die ganze Zeit über hielt Hunt Ausschau nach einem Farcasterportal, einem Anzeichen für eine fortschrittlichere Technologie als die des neunzehnten Jahrhunderts. Er sah nichts, auch kein anderes menschliches Wesen. Die Illusion, daß er durch ein verlassenes Rom im frühlingshaften Wetter im Februar des Jahres 1821 schritt, war perfekt. Das Pferd trottete einen Hügel hinauf, der einen Block von der spanischen Treppe entfernt lag, bog mehrfach auf breiten Boulevards und schmalen Gassen ab und kam in Sichtweite der verfallenen runden Ruine vorbei, in der Hunt das Kolosseum erkannte.
    Als Pferd und Wagen stehenblieben, riß sich Hunt aus dem Dösen, in das er beim Laufen verfallen war, und sah sich um. Sie befanden sich vor einem zugewachsenen Steinhaufen, in dem Hunt die Aurelische Mauer vermutete, und man konnte tatsächlich eine kleine Pyramide erkennen, aber der protestantische Friedhof – so er es denn war – schien mehr Wiese als Gottesacker zu sein. Schafe grasten im Schatten von Zypressen, ihre Glocken läuteten unheimlich in der schwülen, warmen Luft, und überall wuchs das Gras

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