Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Ansicht der Megasphäre als organisches Ding, als halb vernunftbegabter Organismus, der mehr Ähnlichkeit mit einer Ökologie als mit einer Stadt aufweist, war essentiell korrekt. Als die Farcasterverbindungen aufhören zu existieren und die Welt im Innern dieser Straßen zusammenklappt und zerbricht, während die externe Datensphäre gleichzeitig einstürzt wie ein brennendes Zelt, das plötzlich ohne Pfosten, Drähte, Heringe oder Pflöcke dasteht, verschlingt sich die lebende Megasphäre selbst wie ein gefräßiges Raubtier, das den Verstand verloren hat – das seinen eigenen Schwanz verschlingt, den Bauch, Eingeweide, Vorderpfoten und Herz –, bis nur noch die hirnlosen Kiefer übrig sind, die ins Leere schnappen.
Die Metasphäre bleibt. Aber die ist jetzt mehr denn je Wildnis.
Schwarze Wälder unbekannter Zeit, unbekannten Raums.
Geräusche in der Nacht.
Löwen.
Und Tiger.
Und Bären.
Als die Bindende Leere sich aufbäumt und ihre einzige, banale Botschaft ins Universum der Menschen schickt, ist das so, als hätte ein Erdbeben Wellen durch soliden Fels gejagt. Ich eile durch die veränderliche Metasphäre über Hyperion und muß lächeln. Es ist, als wäre das Gott-Analogon der Ameisen überdrüssig, die Graffiti auf Seinen großen Zeh kritzeln.
Ich sehe Gott – keinen der beiden – nicht in der Metasphäre. Ich versuche es auch nicht. Ich habe genügend Probleme.
Die schwarzen Wirbel der Zugänge zu Netz und Core sind verschwunden und aus Raum und Zeit getilgt wie ausgebrannte Warzen, so vollkommen verschwunden wie Strudel im Wasser, wenn der Sturm vorbei ist.
Ich sitze hier fest, wenn ich mich nicht in die Metasphäre wagen will.
Und das will ich nicht. Noch nicht.
Ich möchte hier sein. Hier, im Hyperion-System, ist die Datensphäre fast völlig verschwunden, die erbärmlichen Überreste auf dem Planeten selbst und in den Resten der Flotte von FORCE trocknen aus wie Pfützen in der Sonne, aber die Zeitgräber glühen durch die Metasphäre wie Fanale in der zunehmenden Dunkelheit. Wenn die Farcasterverbindungen schwarze Wirbel gewesen sind, dann sind die Zeitgräber glühende weiße Löcher in expandierendem Licht.
Ich bewege mich auf sie zu. Bis jetzt habe ich als der Vorhergehende nichts anderes erreicht als in den Träumen anderer zu erscheinen. Es wird höchste Zeit, daß ich etwas unternehme.
Sol wartete.
Stunden waren vergangen, seit er sein einziges Kind dem Shrike gegeben hatte. Es war Tage her, daß er gegessen oder geschlafen hatte. Um ihn herum hatte der Sturm gewütet und nachgelassen, die Gräber hatten geglüht und gegrollt wie durchgebrannte Reaktoren, und die Gezeiten der Zeit hatten mit der Heftigkeit von Tsunamis an ihm gezerrt. Aber Sol hatte sich an den Steinstufen der Sphinx festgeklammert und während alledem gewartet. Er wartete immer noch.
Obwohl nur halb bei Bewußtsein und bedrängt von Müdigkeit und der Sorge um seine Tochter, mußte Sol feststellen, daß sein Gelehrtenverstand auf Hochtouren arbeitete.
Fast sein ganzes Leben lang und seine gesamte berufliche Laufbahn über hatte sich Sol Weintraub, der Historiker-Klassizist-Philosoph, mit der Ethik menschlichen religiösen Verhaltens beschäftigt. Religion und Ethik waren nicht immer – nicht einmal häufig – wechselseitig austauschbar. Die Forderungen von religiösem Absolutismus oder Fundamentalismus oder grassierendem Relativismus spiegelten häufig die negativsten Aspekte zeitgenössischer Kultur oder Vorurteile wider, statt ein System, in dem Mensch und Gott gleichermaßen mit einem Gefühl wahrhaftiger Gerechtigkeit leben konnten. Sols berühmtestes Buch, das den Titel Abrahams Dilemma bekam, als es im Taschenbuch mit Auflagen erschien, von denen er sich nie hätte träumen lassen, als er noch Bücher für akademische Verlage verfaßte, war geschrieben worden, als Rachel an Merlins Krankheit litt und befaßte sich ganz eindeutig mit Abrahams schwerer Entscheidung, Gottes Befehl, seinen Sohn zu opfern, zu befolgen oder nicht zu befolgen.
Sol hatte geschrieben, daß primitive Zeiten primitiven Gehorsam erforderlich machten, daß sich spätere Generationen zu einem Punkt entwickelten, an dem sich die Eltern selbst als Opfer anboten – wie in den dunklen Nächten der Brennöfen, die sich wie Pockennarben durch die Geschichte der Erde zogen –, und daß derzeitige Generationen jeden Befehl für ein Opfer zu mißachten hätten. Sol hatte geschrieben, welche Form Gott auch jetzt im menschlichen Denken
Weitere Kostenlose Bücher