Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Straßenreinigungsmannschaft, die auf einem Tier ritt, das einem tonnenschweren Stachelschwein glich. Es gab Dutzende unbedeutende Welten wie Pacem im Netz, und noch mehr im Protektorat und dem nahe gelegenen Outback – so arm, daß sie für die unendlich mobilen Bürger nicht anziehend wirkten, aber so erdähnlich, daß man sie in der dunklen Zeit der Hegira nicht ignorieren konnte. Sie war einer kleinen Gruppe wie den Katholiken geeignet erschienen, die hierher gekommen war, um auf ein neuerliches Erstarken des Glaubens zu warten. Damals hatten sie noch Millionen gezählt, das wußte Gladstone. Jetzt konnten es nur noch einige Zehntausend sein. Sie machte die Augen zu und rief sich Dossierholos von Pater Paul Duré ins Gedächtnis.
Gladstone liebte das Netz. Sie liebte die Menschen darin; trotz ihrer Oberflächlichkeit, ihrem Egoismus und ihrem Unvermögen, sich zu ändern, waren sie die Substanz der Menschheit. Gladstone liebte das Netz. Sie liebte es so sehr, daß sie wußte, sie mußte dabei helfen, es zu vernichten.
Sie kehrte zu dem kleinen dreiportaligen Terminex zurück, ließ ihren Farcasternexus mittels Prioritätsbefehl an die Datensphäre erscheinen und trat hindurch in Sonnenschein und den Geruch des Meeres.
Maui-Covenant. Gladstone wußte genau, wo sie war. Sie stand auf dem Hügel über Firstsite, wo Siris Grab immer noch die Stelle kennzeichnete, wo vor rund einem Jahrhundert die kurzlebige Rebellion ihren Anfang genommen hatte. Damals war Firstsite ein Dorf mit wenigen tausend Einwohnern gewesen, und in jeder Festivalwoche hatten Flötenspieler die schwimmenden Inseln begrüßt, wenn diese nach Norden zu ihren Futtergründen im Äquatorialarchipel zogen. Heute reichte Firstsite bis zum Horizont der Insel, Arcologystädte und Wohnwaben erstreckten sich Kilometer in alle Richtungen und überragten den Hügel, der einmal den schönsten Ausblick über die Meereswelt Maui-Covenant gehabt hatte.
Aber das Grab stand noch. Der Leichnam der Großmutter des Konsuls war nicht mehr da ... war eigentlich nie da gewesen ... aber wie so viele symbolischen Dinge auf dieser Welt, verlangte auch das Grab Bewunderung, ja Ehrfurcht.
Gladstone sah zwischen den Türmen hindurch, über den alten Wellenbrecher, wo die blauen Lagunen braun geworden waren, an den Bohrplattformen und Touristenbarken vorbei und dorthin, wo das Meer begann. Heute gab es keine schwimmenden Inseln mehr. Sie zogen nicht mehr in großen Schwärmen über das Meer und ließen ihre Baumsegel vom Südwind blähen, und ihre Delphinherden zogen keine weißen Gischtbahnen mehr durch das Wasser.
Die Inseln waren inzwischen gezähmt und wurden von Bürgern des Netzes bewohnt. Die Delphine waren ausgestorben – viele waren in den fürchterlichen Kampfen gegen FORCE gestorben, und der Rest hatte sich in dem unerklärlichen Massenselbstmord an den Stränden des Südmeers selbst umgebracht – das letzte Rätsel einer an Rätseln so reichen Rasse.
Gladstone nahm auf einer niederen Bank beim Klippenrand Platz und fand einen Grashalm, den sie schälen und kauen konnte. Was passierte mit einer Welt, die hunderttausend Menschen eine Heimat war, welche in einem labilen Gleichgewicht mit einer empfindlichen Ökologie lebten; wenn diese im ersten Standardjahrzehnt der Mitgliedschaft zum Spielplatz von über vierhundert Millionen wurde?
Die Antwort war so einfach wie erschütternd: Die Welt war zum Tode verurteilt. Oder ihre Seele, auch wenn die Ökosphäre nach einer Weile wieder funktionierte. Planetenökologen und Terraformspezialisten hielten die Hülle am Leben, verhinderten, daß das Meer völlig am unvermeidlichen Abfall und Abwasser und ausgelaufenen Öl erstickte, sie arbeiteten daran, die Lärmbelästigung zu verringern oder geringer zu halten und tausend andere Dinge zu überwachen, die der Fortschritt mit sich brachte. Aber das Maui-Covenant, das der Konsul vor nicht einmal einem Jahrhundert als Kind gekannt hatte, als er eben diesen Hügel zum Begräbnis seiner Großmutter heraufgekommen war, diese Welt existierte nicht mehr.
Am Himmel zog eine Formation Schwebematten vorbei; die Touristen darauf johlten und lachten. Hoch über ihnen verdeckte ein großes Exkursions-EMV für einen Moment die Sonne. Im plötzlichen Schatten warf Gladstone den Grashalm weg und legte die Unterarme auf die Knie. Sie dachte an den Verrat des Konsuls. Sie hatte auf den Verrat des Konsuls gezählt, sie hatte alles darauf gesetzt, daß der Mann von Maui-Covenant, der
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