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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Hier, ich bringe Rachel zurück.«
    »Ich trage sie gern. Und falls es zu einem Kampf kommen sollte, wäre es besser, wenn Sie beide freie Hand hätten.«
    Sol nickte, überbrückte die Distanz und ging neben dem Konsul; der Priester mit dem Kind fiel einige Schritte zurück.
    Aus fünfzehn Metern Entfernung war unübersehbar, daß es sich bei der gestürzten Gestalt um einen Menschen handelte – einen sehr großen Mann –, der ein derbes Gewand trug und mit dem Gesicht nach unten im Sand lag.
    »Bleiben Sie hier.«, sagte der Konsul und lief los. Die anderen sahen zu, wie er die Gestalt herumdrehte, den Schocker wieder in die Tasche steckte und eine Wasserflasche vom Gürtel nahm.
    Sol ging langsam hin und spürte seine Erschöpfung als eine Art angenehmes Schwindelgefühl. Duré folgte noch langsamer.
    Als der Priester den Lichtkreis betrat, den die Handlampe des Konsuls warf, sah er, daß die Kapuze des Mannes aus einem vage asiatischen, seltsam verzerrten langen Gesicht zurückgeschlagen war, welches das Licht der Lampe ebenso beschien wie das Leuchten des Jadegrabs.
    »Ein Tempelritter«, sagte Duré erstaunt, einen Anhänger von Muir hier zu finden.
    »Es ist die Wahre Stimme des Baums«, sagte der Konsul. »Es ist der erste unserer vermißten Pilger ... es ist Het Masteen.«
     

21
     
    Martin Silenus hatte den ganzen Nachmittag an seinem epischen Gedicht gearbeitet, und erst als es dunkel wurde, gönnte er sich Ruhe.
    Er hatte festgestellt, daß sein altes Arbeitszimmer geplündert worden war und der antike Tisch fehlte. Der Palast des Traurigen Königs Billy hatte die schlimmsten Verwüstungen hinnehmen müssen, sämtliche Fensterscheiben waren eingeworfen, Miniaturdünen waren über ausgebleichte Teppiche gewandert, die einmal ein Vermögen wert gewesen waren, Ratten und kleine Felsenaale lebten zwischen den Steintrümmern. Die Wohntürme dienten Tauben und verwilderten Jagdfalken als Heim. Schließlich war der Dichter zur Versammlungshalle gegangen, wo er unter der gewaltigen geodätischen Kuppel des Speisesaals an einem niederen Tisch saß und schrieb.
    Staub und Trümmer bedeckten den Keramikboden, die scharlachrote Farbe der Wüstenflechte verdeckte die zertrümmerten Scheiben fast, aber Silenus achtete nicht auf derlei Nebensächlichkeiten und arbeitete an seinen Gesängen.
    Das Gedicht handelte von der Ermordung und Verdrängung der Titanen durch ihre Nachkommen, die hellenistischen Götter. Es handelte vom Kampf der Olympier, nachdem die Titanen sich weigerten, zu weichen – dem Kochen der großen Meere, als Ozeanus mit seinem Usurpator Neptun kämpfte, dem Erlöschen von Sonnen, während Hyperion mit Apoll um die Macht über das Licht rang, und dem Erbeben des Universums selbst, als Saturn sich mit Jupiter um die Herrschaft über den Thron der Götter schlug. Es ging nicht nur um das Dahinscheiden einer Götterriege, die durch eine neue ersetzt wurde, sondern um das Ende eines Goldenen Zeitalters und den Anbeginn finsterer Zeiten, die den Untergang aller sterblichen Wesen mit sich brachten.
    Die Hyperionischen Gesänge machten kein Hehl daraus, daß diese Götter verschiedene Identitäten besaßen: Die Titanen ließen sich mühelos als Helden der kurzen Geschichte der Menschheit in der Milchstraße erkennen, die olympischen Usurpatoren waren die KIs des TechnoCore, das Schlachtfeld erstreckte sich über die vertrauten Kontinente, Meere und Lüfte aller Welten im Netz. Und inmitten von alledem lauerte das Ungeheuer Dis, Sohn des Saturn und erpicht, das Königreich zusammen mit Jupiter zu erben, und richtete unter Menschen wie Göttern gleichermaßen Verwüstungen an.
    Die Gesänge handelten aber auch von den Beziehungen zwischen Geschöpfen und ihren Schöpfern; von der Liebe zwischen Eltern und Kindern, Künstlern und ihrer Kunst, zwischen allen Schöpfern und ihren Schöpfungen. Das Gedicht feierte Liebe und Loyalität, wankte aber mit seiner konstanten Bedrohung von Korruption durch Liebe zur Macht, menschliche Ambitionen und intellektuelle Überheblichkeit am Rand des Nihilismus.
    Martin Silenus arbeitete seit mehr als zwei Standardjahrhunderten an seinen Gesängen. Seine besten Arbeiten waren in dieser Umgebung entstanden – der verlassenen Stadt, wo der Wüstenwind wie ein geheimnisvoller griechischer Chor im Hintergrund heulte und die plötzliche Unterbrechung durch das Shrike eine allgegenwärtige Bedrohung war. Indem er sein eigenes Leben gerettet hatte, indem er weggegangen war, hatte

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