Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
entspannte es sich an der Schulter des Gelehrten. »Brawnes Geschichte deutet darauf hin, daß Elemente im Core bestrebt sind, den Status quo zu destabilisieren ... daß sie der Menschheit eine Möglichkeit zu überleben gewähren wollen, dabei aber gleichzeitig ihr Projekt Höchste Intelligenz vorantreiben können.«
Der Konsul deutete zum wolkenlosen Himmel. »Alles Geschehene – unsere Pilgerfahrt, selbst dieser Krieg – wurde aufgrund der internen Politik des Core eingefädelt.«
»Und was wissen wir vom Core?« fragte Duré leise.
»Nichts«, sagte der Konsul und warf einen Kiesel auf den gemeißelten Stein links neben der Treppe der Sphinx. »Wenn alles gesagt und getan ist, wissen wir nichts.«
Duré hatte sich inzwischen aufgerichtet und massierte sich das Gesicht mit einem angefeuchteten Tuch. »Und doch ist ihr Ziel unserem so seltsam ähnlich.«
»Und das wäre?« fragte Sol, der das Baby wiegte.
»Gott kennenzulernen«, sagte der Priester. »Und falls uns das nicht gelingt, Ihn zu erschaffen.« Er sah blinzelnd das lange Tal hinab. Schatten erstreckten sich jetzt von den südwestlichen Wänden und berührten die Gräber, die sie bald einhüllen würden. »Ich selbst habe dazu beigetragen, diese Vorstellung in der Kirche populär zu machen ...«
»Ich habe Ihre Abhandlungen über St. Teilhard gelesen«, sagte Sol. »Sie haben die Notwendigkeit der Evolution hin zum Punkt Omega – zur Gottheit – brillant verteidigt, ohne in die Sozinische Häresie zu stolpern.«
»Die was?« fragte der Konsul.
Pater Duré lächelte verhalten. »Sozinus war ein italienischer Häretiker im sechzehnten Jahrhundert n. Chr. Seine Überzeugung – für die er exkommuniziert wurde – war die, daß Gott ein Wesen mit Grenzen ist, das lernen kann, wenn die Welt – das Universum – komplexer wird. Ich selbst bin aber in die Falle der Sozinischen Häresie gestolpert, Sol. Das war meine erste Sünde.«
Sols Blick war standhaft. »Und Ihre letzte Sünde?«
»Außer Stolz?« fragte Duré. »Meine größte Sünde war, daß ich Daten meiner siebenjährigen Ausgrabungen auf Armaghast gefälscht habe. Ich hatte versucht, eine Brücke zwischen den verschwundenen Erzbaumeistern dort und einer Form von Vor-Christenheit zu schlagen. Diese existierte nicht. Ich habe die Daten getürkt. Die Ironie besteht darin, daß ich zumindest nach Überzeugung der Kirche die wissenschaftliche Methode verraten habe. In ihren letzten Tagen kann die Kirche theologische Häresie akzeptieren, aber kein falsches Spiel mit wissenschaftlichen Protokollen dulden.«
»War Armaghast so?« fragte Sol und machte eine Geste mit dem Arm, die das Tal, die Gräber und die umliegende Wüste mit einschloß.
Duré sah sich um, und für einen Moment waren seine Augen strahlend. »Staub und Gestein und das vorherrsehende Gefühl des Todes ja. Aber dieser Ort hier ist unendlich bedrohlicher. Etwas hier hat sich dem Tod noch nicht unterworfen, obwohl das schon längst hätte geschehen müssen.«
Der Konsul lachte. »Hoffen wir, daß wir in diese Kategorie fallen. Ich werde das Komlog zu dem Sattel da oben schleppen und noch einmal versuchen, Relaiskontakt mit dem Schiff herzustellen.«
»Ich komme mit«, sagte Sol.
»Und ich«, sagte Pater Duré, der aufstand, nur einen Augenblick schwankte und sich weigerte, die Hand zu nehmen, die Sol ihm darbot.
Das Schiff reagierte nicht auf Anfragen. Ohne Schiff gab es keine Fatlineverbindung zu den Ousters, dem Netz oder sonst etwas außerhalb von Hyperion. Die normalen Komfrequenzen waren ausgefallen.
»Könnte das Schiff zerstört worden sein?« fragte Sol den Konsul.
»Nein. Die Botschaft wird empfangen, nur nicht beantwortet. Gladstone hält das Schiff immer noch in Quarantäne.«
Sol sah blinzelnd über das Ödland zu den Bergen, die in der Hitze flimmerten. Mehrere Klicks näher ragten die Ruinen der Stadt der Dichter zerklüftet vor dem Himmel auf. »Auch gut«, sagte er. »Wir haben auch so schon einen deus ex machina zuviel.«
Da fing Pater Duré an zu lachen, ein tiefes, aufrichtiges Gelächter, das erst aufhörte, als er zu husten anfing und einen Schluck Wasser trinken mußte.
»Was ist denn?« fragte der Konsul.
»Der deus ex machina. Worüber wir vorhin gesprochen haben. Ich vermute, genau das ist der Grund, weshalb jeder von uns hier ist. Der arme Lenar mit seinem Gott in der Maschine in Gestalt der Kruziform. Brawne mit ihrem wiederbelebten Dichter, der in der Schrön-Schleife gefangen ist,
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