Die Hyperion-Gesänge
Schwartz, nehme ich an, obwohl Amalfi klein und blass war und eine Brille getragen hatte – der wehrhaften Frau das Kleid bis zu den Brustwarzen aufreißt, bevor die widerspenstige Blondine sich zum Betrachter hinwendet und in einem atemlosen Flüstern um Hilfe ruft, das der Pornoholiestar Leeda Swann von sich gab.
Die sterbende Erde II verkaufte neunzehn Millionen Exemplare.
»Nicht schlecht«, sagte Tyrena. »Man braucht eine Weile, bis man ein Stammpublikum gefunden hat.«
»Die sterbende Erde I hat drei Milliarden Exemplare verkauft« , sagte ich.
»Pilgrim’s Progress «, sagte sie. »Mein Kampf. Einmal in einem Jahrhundert. Vielleicht seltener.«
»Aber es wurden drei Milliarden …«
»Hören Sie«, sagte Tyrena. »Im zwanzigsten Jahrhundert der Alten Erde nahm eine Schnellimbisskette das Fleisch toter
Kühe, briet es in Fett, fügte Karzinogene hinzu, verpackte das Ganze in Kunststoff auf Petroleumbasis und verkaufte neunhundert Milliarden Essen. Menschen! Soll einer schlau aus ihnen werden.«
Die sterbende Erde III führte die Figur der Winona ein, ein geflohenes Sklavenmädchen, das es zu einer eigenen Fiberplastikplantage brachte (unwichtig, dass Fiberplastik nicht auf der Alten Erde wuchs), ebenso Arturo Redgrave, den tollkühnen Blockadebrecher (welche Blockade?), und Innocence Sperry, die neunjährige Telepathin, die an einer nicht näher ausgeführten Little-Nell-Krankheit starb. Innocence hielt durch bis Die sterbende Erde IX, und an dem Tag, als mir Transline gestatteten, die kleine Nutte umzubringen, feierte ich das mit einer sechstägigen Zechtour auf zwanzig Welten. Ich erwachte in einer Lungenröhre auf Heaven’s Gate, war mit Erbrochenem und Atmungsschimmel besudelt, hatte den schlimmsten Kater im ganzen Weltennetz und wusste, dass ich – o Gott! – bald mit Band X der Chronik der Sterbenden Erde anfangen musste.
Es ist nicht schwer, ein Schundschreiber zu sein. Zwischen Die sterbende Erde II und Die sterbende Erde IX waren sechs Standardjahre vergleichsweise schmerzfrei vergangen. Meine Recherchen waren spärlich, die Handlungen schablonenhaft, die Figuren Pappcharaktere, der Stil niveaulos, und meine Freizeit gehörte mir. Ich reiste. Ich heiratete zweimal; jede Frau verließ mich ohne Missstimmungen, aber mit einem substanziellen Teil meiner Tantiemen des jeweils nächsten Sterbende-Erde- Buchs. Ich probierte Religionen und das Trinken aus und fand mehr Hoffnung auf dauerhaften Trost bei Letzterem.
Ich behielt mein Haus, fügte sechs weitere Zimmer auf fünf Welten hinzu und füllte sie mit Kunstgegenständen. Ich gab Feste. In meinem Bekanntenkreis befanden sich auch Schriftsteller,
aber wir neigten wie zu allen Zeiten dazu, einander zu misstrauen, schlecht übereinander zu reden und insgeheim den anderen um seinen Erfolg zu beneiden und Makel in seinem Werk zu finden. Jeder von uns wusste im Grunde seines Herzens, dass er selbst ein großer Künstler des Wortes war, der eben zufällig kommerziellen Erfolg hatte; die anderen waren Schmierfinken.
Dann, eines kühlen Morgens, als mein Schlafzimmer sich sachte in den oberen Zweigen meines Baumes auf der Welt der Tempelritter wiegte, wachte ich unter dem grauen Himmel auf und stellte fest, dass meine Muse mich verlassen hatte.
Es war fünf Jahre her, seit ich zum letzten Mal Gedichte geschrieben hatte. Die Gesänge lagen offen im Turm auf Deneb Drei, und außer den veröffentlichten waren nur wenige neue Seiten fertiggestellt. Ich hatte Gedankenprozessoren benützt, um meine Romane zu schreiben, und einer wurde aktiv, als ich das Arbeitszimmer betrat.SCHEISSE, druckte er aus. WAS HABE ICH MIT MEINER MUSE GEMACHT?
Es sagt einiges über die Bücher aus, die ich geschrieben habe, dass meine Muse verschwinden konnte und ich es überhaupt nicht bemerkte. Für diejenigen, die nie geschrieben haben und nie von einem kreativen Drang erfüllt gewesen sind, scheint das Gerede von einer Muse bildlich gesprochen zu sein, eine Täuschung, doch für uns, die wir vom Wort leben, sind unsere Musen so real und notwendig wie der weiche Ton der Sprache, den zu formen sie uns helfen. Wenn man schreibt – wirklich schreibt –, ist es, als hätte man eine Fatline zu den Göttern. Kein wahrer Dichter hat je das Hochgefühl erklären können, das man empfindet, wenn der Verstand zu einem Instrument wird, wie die Feder oder der Gedankenprozessor, und die Offenbarungen ausdrückt, die ihm von anderswo zufliegen.
Meine Muse war fort. Ich
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