Die Hyperion-Gesänge
ersten Jahr nach Erscheinen dreiundzwanzigtausend Hardfaxkopien. Bei einem Tantiemenanteil von zehn Prozent vom Ladenpreis von zwölf MK hatte ich damit 13 800 MK meines Vorschusses von 2 000 000 MK von
Transline verdient. Im zweiten Jahr wurden ganze 638 Hardfaxkopien verkauft; keine Rechte für die Datensphäre, keine Holieoptionen und keine Werbetouren.
Was die Gesänge an Verkaufszahlen nicht brachten, machten sie an negativen Besprechungen wett: »Nicht zu enträtseln … Archaisch … Irrelevant für alle derzeitigen Belange«, stand in der Times Book Section. »M. Silenus hat den letztmöglichen Akt der Nichtkommunikation bewerkstelligt«, schrieb Urban Kapry in der TC 2 -Review, »indem er sich in eine Orgie prätentiöser Verwirrung gestürzt hat.« Und Marmon Hamlit versetzte dem Buch den endgültigen Todesstoß in Heute im All-Netz! : »Oh, den Gedichtband von diesem – Wieheißterdochgleich? – konnte ich nicht lesen. Habe es nicht mal versucht.«
Tyrena Wingreen-Feif schien nicht bekümmert zu sein. Zwei Wochen nach den ersten Besprechungen und Hardfaxverkaufszahlen und einen Tag nach Beendigung meines dreizehntägigen Zechgelages farcastete ich in ihr Büro und warf mich in den schwarzen Schwebschaumsessel, der mitten im Zimmer kauerte wie ein Panther aus Samt. Es herrschte eines der legendären Gewitter von Tau Ceti Center: Jupitergroße Blitzschläge zerrissen die blutrote Atmosphäre vor dem unsichtbaren Sperrfeld.
»Machen Sie sich keine Gedanken«, sagte Tyrena. Zur dieswöchigen Mode gehörte eine Frisur, bei der Haarstacheln einen halben Meter über die Stirn abstanden, sowie ein Körperfeldpolarisator, der mit wabernden Farben die Nacktheit darunter bedeckte – und offenbarte. »Die erste Auflage betrug nur sechzigtausend Faxübertragungen, also ist nicht viel Schaden angerichtet worden.«
»Sie haben gesagt, geplant wären siebzig Millionen«, sagte ich.
»Ja, nun, wir haben es uns anders überlegt, nachdem Translines KI es gelesen hat.«
Ich sackte in dem Schwebschaum zusammen. »Nicht einmal der KI hat es gefallen?«
»Die KI war begeistert«, sagte Tyrena. »Da wussten wir auch ganz sicher, dass es den Menschen nicht gefallen würde.«
Ich richtete mich auf. »Hätten wir nicht TechnoCore Exemplare verkaufen können?«
»Haben wir«, sagte Tyrena. »Eins. Die Millionen KIs da draußen haben es wahrscheinlich in dem Augenblick, als es über die Fatline gekommen ist, in Echtzeit geteilt. Interstellares Urheberrecht ist keinen Scheißdreck wert, wenn man es mit Silizium zu tun hat.«
»Na gut«, sagte ich und sackte wieder zusammen. »Was nun?« Draußen fuhren Blitze von der Größe alter Autobahnen auf der Alten Erde zwischen die Firmenhochhäuser und Wolkentürme.
Tyrena stand von ihrem Schreibtisch auf und kam zum Rand des runden Teppichs. Ihr Körperfeld flackerte wie elektrisch geladenes Öl auf Wasser. »Nun«, sagte sie, »müssen Sie sich überlegen, ob Sie Schriftsteller oder der größte Nassauer des Weltennetzes werden wollen.«
»Was?«
»Sie haben schon richtig gehört.« Tyrana drehte sich lächelnd um. Ihre Zähne waren mit Goldspitzen verziert. »Der Vertrag gestattet es uns, den Vorschuss in jeder Form zurückzuholen, die wir für erforderlich halten. Wir können Ihr Guthaben bei der Interbank beschlagnahmen, die Goldmünzen holen, die Sie auf Homefree versteckt haben, und Ihr schickes Farcasterhaus verkaufen – das dürfte in etwa genügen. Und dann können Sie sich zu den anderen künstlerischen Dilettanten und Aussteigern und Spinnern gesellen, die der Traurige König Billy auf der Hinterwelt um sich schart, wo er gerade residiert.«
Ich sah sie an.
»Andererseits«, sagte sie und lächelte ihr Kannibalenlächeln, »können wir diesen kleinen Ausrutscher auch einfach vergessen – und Sie können mit der Arbeit an Ihrem nächsten Buch anfangen.«
Mein nächstes Buch erschien fünf Standardmonate später. Die sterbende Erde II fing da an, wo Die sterbende Erde aufgehört hatte, diesmal in schlichterer Sprache und mit Satzlänge und Kapitelgehalt, die sorgfältig anhand neurobio-überwachter Reaktionen einer Testgruppe von sechhundertachtunddreißig durchschnittlichen Hardfaxlesern ermittelt worden waren. Das Buch war in Romanform und so kurz, dass es den Durchschnittsleser an der Supermarktkasse nicht einschüchterte und der Umschlag bestand aus einem zwanzigsekündigen interaktiven Holo, in dem der große, kräftige Fremde – Amalfi
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