Die Hyperion-Gesänge
suchte sie in den anderen Welten meines Hauses, aber nur Stille hallte mir von den Wänden
mit ihren Gemälden und den leeren Räumen entgegen. Ich farcastete und flog zu meinen Lieblingsplätzen, betrachtete den Sonnenuntergang auf den windigen Prärien von Gras und den nächtlichen Nebel, der die ebenholzfarbenen Klüfte von Nevermore verhüllte, aber obwohl ich den Schund der endlosen Sterbende - Erde -Romane aus meinem Denken verdrängte, hörte ich nicht einmal ein Flüstern von meiner Muse.
Ich suchte sie mit Alkohol und Flashback, kehrte zu den produktiven Tagen auf Heaven’s Gate zurück, wo ihre Inspiration ein konstantes Summen in meinen Ohren gewesen war, wo sie meine Arbeit unterbrochen, mich aus dem Schlaf gerissen hatte, aber in den nochmals durchlebten Stunden und Tagen war ihre Stimme so gedämpft und unverständlich wie die kaputte Schallplatte eines vergessenen Jahrhunderts.
Meine Muse war fort.
Ich farcastete im präzisen Augenblick meiner Verabredung in Tyrena Wingreen-Feifs Büro. Tyrena war von Cheflektorin der Hardfaxabteilung zur Verlegerin befördert worden. Ihr neues Büro befand sich im obersten Stock des Transline-Turms auf Tau Ceti Center, und wenn man dort stand, kam man sich vor, als befände man sich auf dem mit Teppichboden ausgelegten Gipfel des höchsten Berges der Galaxis: Nur die unsichtbare Kuppel des leicht polarisierten Sperrfeldes wölbte sich über einem, und der Teppichboden hörte an einem Abgrund von sechs Kilometern Tiefe auf. Ich fragte mich, ob auch andere Autoren manchmal den Wunsch verspürten, da hinunterzuspringen.
»Das neue Opus?«, sagte Tyrena. Lusus dominierte diese Modewoche, und »dominieren« war genau das richtige Wort: Meine Lektorin trug Leder und Eisen, rostige Dornenarmbänder an den Handgelenken und um den Hals und einen breiten
Patronengurt über ihre Schulter und die linke Brust. Die Patronen schienen echt zu sein.
»Ja«, sagte ich und warf ihr das Manuskript auf den Schreibtisch.
»Martin, Martin, Martin«, seufzte sie, »wann werden Sie Ihre Bücher endlich transmittern, statt sich immer die Mühe zu machen, sie auszudrucken und persönlich hierherzubringen?«
»Es ist seltsam befriedigend, sie persönlich abzugeben«, sagte ich. »Besonders bei dem hier.«
»Ach?«
»Ja«, sagte ich. »Warum sehen Sie nicht mal rein?«
Tyrena lächelte und strich mit den Fingernägeln über die Patronen im Gurt. »Ich bin sicher, es entspricht Ihren bekannt hohen Maßstäben, Martin«, sagte sie. »Ich muss es nicht lesen.«
»Bitte«, sagte ich.
»Wirklich«, sagte Tyrena, »dazu besteht kein Grund. Es macht mich immer nervös, ein neues Werk zu lesen, wenn der Autor anwesend ist.«
»Das hier nicht«, sagte ich. »Lesen Sie nur die ersten paar Seiten.«
Sie muss meiner Stimme etwas angehört haben, denn sie runzelte die Stirn und schlug den Karton auf. Das Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie die erste Seite gelesen hatte und den Rest des Manuskripts durchblätterte.
Auf Seite eins stand ein einziger Satz: »Dann, eines schönen Morgens im Oktober, verschluckte die Sterbende Erde ihre eigenen Eingeweide, zuckte ihre allerletzte Zuckung und starb.« Die restlichen zweihundertneunundneunzig Seiten waren leer.
»Ein Witz, Martin?«
»Nein.«
»Dann ein Wink mit dem Zaunpfahl? Würden Sie gerne eine neue Serie anfangen?«
»Nein.«
»Nicht, dass wir nicht damit gerechnet hätten, Martin. Unsere Storyleute haben sich mehrere aufregende Serien für Sie ausgedacht. M. Subwaizee glaubt, Sie sind perfekt dazu geeignet, Romane zu den Holies um den Scharlachroten Rächer zu schreiben.«
»Sie können sich den Scharlachroten Rächer in Ihren Firmenarsch schieben, Tyrena«, sagte ich freundlich. »Ich bin fertig mit Transline und diesem vorverdauten Brei, den Sie Literatur nennen.«
Tyrenas Miene zuckte nicht. Ihre Zähne waren nicht spitz; heute waren sie rostiges Eisen, passend zu den Dornen an Halsband und Armreifen. »Martin, Martin, Martin«, seufzte sie, »Sie haben keine Ahnung, wie fertig Sie sein werden, wenn Sie sich nicht entschuldigen, zusammenreißen und mitspielen. Aber das hat Zeit bis morgen. Warum gehen Sie nicht nach Hause, nüchtern sich aus und denken darüber nach?«
Ich lachte. »Ich bin so nüchtern, wie ich es seit acht Jahren nicht mehr gewesen bin, Lady. Ich habe nur eine Weile gebraucht, bis ich dahintergekommen bin, dass ich nicht der Einzige bin, der Dreck schreibt. Dieses Jahr ist nicht ein einziges Buch im Netz
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