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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nordöstlichen Rand des Flammenwaldes herausgekommen, haben unverzüglich am Rand eines schmalen Bächleins das Lager aufgeschlagen und achtzehn Stunden lang ununterbrochen geschlafen; damit haben wir die drei Nächte ohne Schlaf und zwei grausame Tage wettgemacht, während deren wir uns ohne Ruhe durch einen Alptraum aus Flammen und Asche
gequält haben. Überall, wohin wir auch blickten, während wir uns der Kuppe näherten, die den Waldrand markiert, konnten wir Samenkapseln und Zapfen der zahlreichen Flammenbaumarten sehen, die aufbrachen und neues Leben aus denen schufen, die in den vergangenen beiden Nächten im Feuer gestorben waren. Fünf unserer Ableiterpflöcke funktionierten noch, aber weder Tuk noch ich waren erpicht darauf, sie in einer weiteren Nacht auf die Probe zu stellen. Unser überlebendes Packbrid brach in dem Augenblick tot zusammen, als wir ihm die schwere Last vom Rücken nahmen.
    Heute Morgen wachte ich bei Dämmerung auf, weil ich fließendes Wasser hörte. Ich folgte dem Bächlein einen Kilometer nach Nordosten, während sein Rauschen immer tiefer wurde, bis es schließlich den Fels hinabstürzte und verschwand.
    Die Kluft! Ich hatte unser Ziel fast vergessen gehabt. Ich stolperte durch den Nebel, sprang von einem nassen Felsen zum nächsten, wagte schließlich den Sprung zum letzten Felsstein, wankte dort, erlangte das Gleichgewicht wieder und sah direkt über einen Wasserfall hinab, der fast dreitausend Meter tief in Nebel, Fels und einen Fluss weit unten fiel.
    Die Kluft war nicht aus dem Hochplateau geschnitten wie der legendäre Grand Canyon der Alten Erde oder der Weltriss auf Hebron. Trotz seiner aktiven Meere und scheinbar erdähnlichen Kontinente ist Hyperion tektonisch so gut wie tot; in seinem völligen Stillstand jeglicher Kontinentaldrift gleicht er mehr dem Mars, Lusus oder Armaghast. Hyperion ist, wie Mars und Lusus, mit seinen Eiszeiten geschlagen, doch wird hier die Periodik durch die langgestreckte Ellipsenbahn des momentan das Aphel durchwandernden Binärzwergs auf siebenunddreißig Millionen Jahre gedehnt. Das Komlog vergleicht die Kluft mit dem Mariner Valley auf dem Mars vor dem Terraformen – beide entstanden durch Schwächung der
Planetenkruste infolge periodischen Gefrierens und Auftauens über Äonen hinweg, gefolgt vom Strom unterirdischer Flüsse wie dem Kans. Danach der massive Einbruch, der sich wie eine lange Narbe durch den bergigen Flügel des Kontinents Aquila zieht.
    Tuk kam zu mir, als ich am Rand der Kluft stand. Ich war nackt und wusch den Aschegeruch aus meiner Reisekleidung und der Soutane. Ich spritzte mir kaltes Wasser auf die blasse Haut und lachte laut, als die Echos von Tuks Rufen von der knapp siebenhundert Meter entfernten Nordwand widerhallten. Aufgrund der Art des Einbruchs der Oberfläche standen Tuk und ich weit draußen auf einem Überhang, der die Südwand unter uns verbarg. Obwohl auf gefährliche Weise bloßgestellt, hofften wir, dass die Felslippe, die der Schwerkraft seit Jahrmillionen trotzte, noch ein paar Stunden halten würde, während wir badeten, uns entspannten, hallende Hallos brüllten, bis wir heiser waren, und uns ganz allgemein übermütig wie Kinder benahmen, die schulfrei haben. Tuk gestand mir, dass er noch nie die ganze Breite des Flammenwalds durchquert hatte – und auch niemand kannte, der es in dieser Jahreszeit getan hätte –, und verkündete, da die Teslabäume jetzt aktiv wurden, würde er mindestens drei Monate warten müssen, bis er wieder nach Hause zurückkehren konnte. Es schien ihn nicht weiter zu bekümmern, und ich war froh, ihn bei mir zu haben.
    Am Nachmittag transportierten wir meine Ausrüstung in Etappen, schlugen das Lager am Bach, etwa hundert Meter vom Überhang entfernt, auf und stapelten die Schaumstoffkisten mit der wissenschaftlichen Ausrüstung, um sie am nächsten Morgen bereit zu haben.
    Am Abend war es kalt. Nach dem Abendessen, kurz vor Sonnenuntergang, zog ich meine Thermojacke an und ging allein zu einem Felsensims südwestlich der Stelle, wo ich die Kluft
zum ersten Mal gesehen hatte. Von meinem Aussichtspunkt weit über dem Fluss war der Blick überwältigend. Dunst stieg von unsichtbaren Wasserfällen empor, die zum Fluss tief unten stürzten, Gischt stieg in wabernden Nebelvorhängen empor, die die Sonne in ein Dutzend violetter Kugeln und doppelt so viele Regenbogen brachen. Ich sah zu, wie jedes Spektrum geboren wurde, der dunkelnden Himmelskuppel entgegenstieg und starb.

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