Die Hyperion-Gesänge
Wir warten auf einen Gegenangriff, wissen aber, dass wir ihn zurückschlagen können. Hyperion ist nun, wieder soweit man das sagen und übersehen kann, Teil des Netzes. Fragen?«
Es gab keine. Gladstone entfernte sich mit Leigh Hunt, einer Gruppe Senatoren und ihren Attachés. Die militärischen Lamettaträger ballten sich zu Grüppchen zusammen, deren Bestand offensichtlich vom Dienstgrad bestimmt wurde. Attachés wuselten herum. Die wenigen Reporter, denen Zutritt in den Raum gestattet worden war, liefen zu ihren Filmcrews draußen. Yani, der junge Oberst, blieb mit leerem Blick und blassem Gesicht stehen.
Ich saß noch einen Moment da und betrachtete die Schablonenkarte von Hyperion. Die Ähnlichkeit des Kontinents Equus mit einem Pferd war auf diese Entfernung größer. Von meiner Position aus konnte ich eben noch die Berge des Bridle Range und die orange-gelbe Farbe der Wüste unter dem »Auge« des Pferds ausmachen. Nordöstlich der Berge waren keine Stützpunkte von FORCE gekennzeichnet, überhaupt keine Symbole, abgesehen von einem winzigen roten Leuchtpünktchen, bei dem es sich um die verlassene Stadt der Dichter handeln konnte. Die Zeitgräber waren überhaupt nicht gekennzeichnet. Es war, als besäßen sie keine militärische Bedeutung und hätten keinen Anteil an den bevorstehenden Ereignissen des Tages. Aber irgendwie wusste ich es besser. Irgendwie vermutete ich, dass der gesamte Krieg, das Los von Tausenden, das Schicksal von Millionen – möglicherweise Milliarden – von den Taten von sechs Menschen in diesem unmarkierten gelborangefarbenen Streifen abhingen.
Ich klappte den Skizzenblock zu, steckte die Stifte in die Taschen, suchte nach einem Ausgang, fand ihn und ging.
Leigh Hunt erwartete mich in einem der langen Flure, die zum Haupteingang führten. »Sie gehen?«
Ich holte Luft. »Darf ich das nicht?«
Hunt lächelte, wenn man die Aufwärtskrümmung der schmalen Lippen ein Lächeln nennen konnte. »Selbstverständlich, M. Severn. Aber Präsidentin Gladstone hat mich gebeten, Ihnen zu bestellen, dass sie heute Nachmittag wieder mit Ihnen sprechen möchte.«
»Wann?«
Hunt zuckte mit den Achseln. »Jederzeit nach der Ansprache. Wie es Ihnen zupasskommt.«
Ich nickte. Buchstäblich Millionen Lobbyisten, Arbeitssuchende, potenzielle Biografen, Geschäftsleute, Fans der Präsidentin und mögliche Attentäter würden fast alles geben, um eine Minute mit der sichtbarsten Anführerin der Hegemonie zu verbringen, um ein paar Sekunden von Gladstones Zeit zu erhaschen, und ich konnte sie sehen, wie es mir »zupasskam«. Niemand hat je gesagt, dass das Universum normal ist.
Ich drängte an Leigh Hunt vorbei zur Tür.
Einer langen Tradition zufolge befanden sich keinerlei Farcasterportale im Innern des Regierungshauses. Ein kurzer Fußweg führte an den Wachen beim Haupteingang vorbei durch den Garten zu dem flachen, weißen Gebäude, das als Pressehauptquartier und Terminex diente. Die Reporter standen um eine zentrale Videonische, wo das altbekannte Gesicht und die Stimme von Lewellyn Drake, »Stimme des All-Wesens«, Hintergrundinformationen zur »Für die Hegemonie von lebenswichtiger Bedeutung«-Rede von Präsidentin Gladstone lieferte. Ich nickte in seine Richtung, fand ein unbenütztes Portal,
präsentierte meine Universalkarte und machte mich auf die Suche nach einer Bar.
Wenn man bis zu ihm vorgedrungen war, stellte der Grand Concourse – der Große Rundgang – den einzigen Ort im Netz dar, wo man gratis farcasten konnte. Jede Welt im Netz hatte mindestens einen ihrer schönsten Großstadtblocks – auf TC 2 waren es ganze dreiundzwanzig Blocks – für Einkaufszentren, Unterhaltung, Luxusrestaurants und Bars vorbehalten. Besonders Bars.
Wie der Fluss Tethys strömte auch der Grand Concourse zwischen Farcasterportalen militärischer Größenordnung – bis zu zweihundert Meter hoch – dahin. Durch eine Schleife war der Effekt der einer unendlichen Hauptstraße, eines hundert Kilometer langen Parcours irdischer Freuden. Man konnte, wie ich an diesem Vormittag, unter der gleißenden Sonne von Tau Ceti stehen und den Concourse entlang in die nachtschlafene Mitternacht von Deneb Drei sehen, wo Neonlichter und Holos leuchteten, und man konnte einen Blick auf die hundertstöckige Main Mall von Lusus werfen, während man gleichzeitig wusste, dass dahinter die schattigen Boutiquen von God’s Grove lagen mit seinem gepflasterten Rundweg und Fahrstühlen zu Treetops,
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