Die Hyperion-Gesänge
Vatikan auf Pacem und loyaler Diener Seiner Heiligkeit Papst Urban XVI. kreischt Obszönitäten.
Hoyt geht in seinen großen Schmerzen unter. Die geräumigen Säle beim Eingang des Jadegrabs sind schmäler geworden, der Gang hat sich so oft in sich selbst zurückgewunden, dass Hoyt sich jetzt in einer Reihe von Katakomben verirrt hat und zwischen grün leuchtenden Wänden in einem Labyrinth umherirrt,
das er nach den Erkundigungen des heutigen Tages und anhand der Karten im Lager nicht mehr im Gedächtnis hat. Die Schmerzen – Schmerzen, die seit Jahren sein Begleiter sind, Schmerzen, die er ertragen muss, seit der Stamm der Bikura ihm die beiden Kruziformen eingepflanzt hat, seine eigene und die von Paul Duré – drohen ihn mit ihren neuen Höhen in den Wahnsinn zu treiben.
Der Gang wird wieder schmaler. Lenar Hoyt schreit, was er nicht mehr mitbekommt, und er merkt auch nicht mehr, welche Worte er schreit – Worte, die er seit seiner Kindheit nicht mehr benützt hat. Er will Erlösung. Erlösung von den Schmerzen. Erlösung von der Bürde, Pater Durés DNS, seine Persönlichkeit – Durés Seele – in Form dieses kreuzförmigen Parasiten auf dem Rücken mit sich herumschleppen zu müssen. Und davon, dass er den schrecklichen Fluch seiner eigenen besudelten Auferstehung in der Kruziform auf der Brust mit sich trägt.
Doch selbst während Hoyt schreit, ist ihm bewusst, dass ihn nicht die inzwischen toten Bikura zu diesen Schmerzen verurteilt haben; der verlorene Stamm von Kolonisten, die so viele Male von ihren eigenen Kruziformen wiedererweckt worden sind, dass sie Idioten geworden waren, lediglich Träger ihrer eigenen DNS und der ihrer Parasiten, hat ebenfalls aus Priestern bestanden – Priestern des Shrike.
Pater Hoyt von der Gesellschaft Jesu hat eine Phiole Weihwasser mitgebracht, die Seine Heiligkeit persönlich gesegnet hat, eine im Verlauf einer Feierlichen Hohen Messe geweihte Eucharistie und eine Kopie des uralten Kirchenrituals des Exorzismus. Das alles ist inzwischen vergessen in einer Perspexkugel in einer Tasche seines Mantels versiegelt.
Hoyt stolpert gegen eine Wand und schreit wieder. Der Schmerz ist mittlerweile eine unbeschreibliche Macht geworden, gegen die die ganze Ampulle Ultramorphin, die er
erst vor fünfzehn Minuten gespritzt hat, nichts mehr ausrichten kann. Pater Hoyt schreit und zerrt an der Kleidung, reißt sich den schweren Mantel vom Leib, die schwarze Soutane mit dem Priesterkragen, Hemd, Hose und Unterwäsche, bis er nackt und vor Schmerzen und Kälte zitternd in den leuchtenden Korridoren des Jadegrabs steht und Flüche und Verwünschungen in die Nacht hinausbrüllt.
Er stolpert wieder weiter, findet eine Öffnung und kommt in einen Raum, der größer ist als alle, an die er sich von der heutigen Erkundung her erinnern kann. Kahle, durchscheinende Wände ragen dreißig Meter um eine gewaltige Leere herum empor. Hoyt fällt stolpernd auf Hände und Knie, sieht nach unten und stellt fest, dass der Boden fast durchsichtig geworden ist. Er blickt in einen vertikalen Schacht unter der dünnen Membran des Fußbodens, einen Schacht, der einen Kilometer oder mehr in ein Flammenmeer hinabführt. Der Raum ist vom orangeroten Flackern des Feuers so weit unten durchdrungen.
Hoyt rollt sich auf die Seite und lacht. Wenn dies ein Bildnis der Hölle sein soll, das seinetwegen heraufbeschworen wurde, so hat es seinen Zweck verfehlt. Hoyts Bild der Hölle ist greifbar; es sind die Schmerzen, die in ihm rasen, als zöge man Stacheldraht durch seine Adern und Eingeweide. Die Hölle, das ist auch die Erinnerung an hungernde Kinder in den Elendsvierteln von Armaghast und das Lächeln von Politikern, die ihre Jungs in den Kolonialkriegen in den Tod schicken. Die Hölle ist die Vorstellung, die Kirche könnte zu seinen Lebzeiten sterben, zu Durés Lebzeiten, die Vorstellung, dass die letzten Gläubigen eine Handvoll alte Männer und Frauen sind, die nur wenige Bänke in den riesigen Kathedralen auf Pacem füllen. Die Hölle, das ist die Scheinheiligkeit, die Frühmesse zu lesen, während das Böse in Gestalt der Kruziform warm und obszön über seinem Herzen pulsiert.
Ein Schwall heißer Luft steigt auf, und Hoyt beobachtet, wie ein Abschnitt des Bodens zurückgleitet und eine Falltür in den Schacht unten bildet. Der Raum füllt sich mit Schwefelgestank. Hoyt lacht über das Klischee, doch das Lachen wird innerhalb von Sekunden zu einem Schluchzen. Er liegt jetzt auf den Knien und
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