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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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möchten, dass ich gehe. Ich finde, wenn Sie nur wegen meiner Verbindung zu den Pilgern an mir interessiert sind, gehen Sie ein unnötiges Risiko ein, indem Sie mich wegschicken.«
    Gladstone nickte. »M. Severn, es stimmt, dass mich Ihre – wenn auch vage – Verbindung zu den Pilgern interessiert. Aber es ist auch so, dass mich Ihre Eindrücke und Einschätzungen interessieren. Ihre Eindrücke.«
    »Aber ich bin ein Risiko für Sie«, sagte ich. »Sie wissen nicht, wem ich sonst noch Bericht erstatte, absichtlich oder unabsichtlich. Ich bin ein Geschöpf des TechnoCore.«
    »Ja«, sagte Gladstone, »aber Sie sind vielleicht auch das objektivste Geschöpf auf Tau Ceti Center in diesem Augenblick, möglicherweise im ganzen Netz. Und Ihre Eindrücke sind die eines begabten Dichters, eines Mannes, dessen Genie ich respektiere.«
    Ich lachte bellend. »Er war ein Genie«, sagte ich. »Ich bin ein Simulacrum. Eine Drohne. Eine Karikatur.«
    »Sind Sie ganz sicher?«, fragte Gladstone.
    Ich hielt die leeren Hände hoch. »Ich habe in den zehn Monaten, die ich in diesem seltsamen Nachleben bei Bewusstsein bin, keine einzige Zeile geschrieben«, sagte ich. »Ich denke nicht in Gedichtform. Ist das nicht Beweis genug, dass das Rekonstruktionsprojekt des Core gescheitert ist? Sogar mein falscher Name ist eine Beleidigung für einen Mann, der unendlich
mehr Talent hatte, als ich je haben werde … Joseph Severn war ein Schatten im Vergleich zum wahren John Keats – ich schmähe seinen Namen dadurch, dass ich ihn benütze.«
    »Das mag sein«, sagte Gladstone. »Vielleicht auch nicht. Wie auch immer, ich habe gebeten, dass Sie M. Hunt auf diese kurze Reise nach Hyperion begleiten.« Sie machte eine Pause. »Sie sind nicht … äh … verpflichtet zu gehen. In mehr als einem Sinne sind Sie nicht einmal Bürger der Hegemonie. Aber es würde mich freuen, wenn Sie gingen.«
    »Ich gehe«, wiederholte ich und hörte meine eigene Stimme wie aus weiter Ferne.
    »Ausgezeichnet. Sie brauchen warme Kleidung. Tragen Sie nichts, das sich im freien Fall lösen und zu Peinlichkeiten führen könnte, obwohl ich nicht glaube, dass es dazu kommen wird. Sie treffen M. Hunt im Hauptfarcasternexus des Regierungshauses in« – sie sah auf die Uhr – »zwölf Minuten.«
    Ich nickte und drehte mich um.
    »Oh, M. Severn …«
    Ich blieb unter der Tür stehen. Die alte Frau hinter dem Schreibtisch sah plötzlich klein und sehr müde aus.
    »Danke, M. Severn«, sagte sie.
     
    Es stimmte, dass Millionen ins Kriegsgebiet farcasten wollten. Das All-Wesen war erfüllt von schrillen Petitionen, Argumenten dafür, Zivilisten nach Hyperion ’casten zu lassen, Bitten von Reiseveranstaltern, kurze Kreuzfahrten unternehmen zu dürfen, und Forderungen von planetaren Politikern und Repräsentanten der Hegemonie, die auf der Suche nach »Fakten« durch das System kreuzen wollten. Sämtliche Anfragen wurden abgelehnt. Bürger des Netzes – besonders Bürger des Netzes mit Geld – waren es nicht gewöhnt, dass ihnen neue Erfahrungen verweigert wurden, und für die Hegemonie war ein
richtiger Krieg eben eine der wenigen Erfahrungen, die bisher noch nie hatten ausprobiert werden können.
    Aber das Büro der Präsidentin und die FORCE-Behörden blieben unerbittlich: kein ziviles oder widerrechtliches Farcasten ins Hyperion-System, keine unzensierten Meldungen in den Medien. In einem Zeitalter, in dem keine Information unerreichbar und kein Reiseziel verboten war, waren derartige Beschränkungen angetan, die Gemüter zu erhitzen und anzustacheln.
    Ich traf M. Hunt am Farcasternexus der Angestellten, nachdem ich meinen Befugnischip mindestens einem Dutzend Sicherheitskontrollen gezeigt hatte. Hunt trug einen schwarzen Anzug, zwar ohne Abzeichen, aber dennoch ähnlich wie die FORCE-Uniformen, die in diesem Teil des Regierungszentrums allgegenwärtig waren. Ich hatte kaum Zeit zum Umziehen gehabt und war lediglich in meine Räumlichkeiten zurückgekehrt, um eine weite Weste mit vielen Taschen für Zeichenmaterial und einen 35-mm-Bildgestalter zu holen.
    »Fertig?«, fragte Hunt. Das Bassetgesicht schien nicht erfreut, mich zu sehen. Er trug eine schlichte schwarze Reisetasche.
    Ich nickte.
    Hunt deutete auf einen Transporttechniker von FORCE, worauf ein Einwegportal schimmernd aufleuchtete. Ich wusste, das Ding war auf unsere DNS-Codes eingestellt und würde sonst niemanden passieren lassen. Hunt holte Luft und ging durch. Ich sah, wie die

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