Die Hyperion-Gesänge
sanftem Druck festhielt.
Der Wind schwoll an, der Lärm kehrte zurück, Sand wehte vom Dünenrand als kräuselnde Wolke herüber. Kassad und Moneta rollten auf dem sanft geneigten Sandhügel tiefer, wälzten sich gemeinsam die Welle aus Sand hinab zu der Stelle, wo sie brechen musste, vergaßen den Sturm, die Nacht, den Krieg, alles außer dem Augenblick und sich selbst.
Als sie später gemeinsam durch die zertrümmerte Schönheit des Kristalimonolithen schlenderten, berührte sie ihn einmal mit einer goldenen Stockzwinge, ein zweites Mal mit einem blauen Torus. Er sah in der Scherbe einer Kristallplatte, wie sein Spiegelbild zur Quecksilberskizze eines Mannes wurde, die in allen Einzelheiten perfekt war, bis hin zu den Geschlechtsorganen und den Linien, wo sich die Rippen unter dem schlanken Oberkörper abzeichneten.
– Was jetzt ?, fragte Kassad durch das Medium, das weder Telepathie noch Sprache war.
– Der Herr der Schmerzen wartet.
– Bist du seine Dienerin?
– Niemals. Aber ich bin seine Verbündete und Nemesis. Seine Hüterin.
– Bist du mit ihm aus der Zukunft gekommen?
– Nein. Ich wurde aus meiner Zeit geholt, damit ich rückwärts mit ihm durch die Zeit reise.
– Wer bist du dann vorher gewesen?
Kassads Frage wurde durch das plötzliche Erscheinen … Nein, dachte er, die plötzliche Anwesenheit , nicht das Erscheinen … des Shrike unterbrochen.
Die Kreatur war noch so, wie er sie von ihrer ersten Begegnung in Erinnerung hatte. Kassad bemerkte die Quecksilber-auf-Chrom-Geschmeidigkeit, die so sehr an ihre eigenen Hautanzüge gemahnte, aber er wusste intuitiv, dass sich unter diesem Panzer nicht Fleisch und Knochen befanden. Das Wesen war mindestens drei Meter hoch, die vier Arme wirkten an dem eleganten Torso normal, und der Körper war eine modellierte Masse aus Dornen, Stacheln, Gelenken und Schichten unregelmäßigen Stacheldrahts. Die Augen mit ihren tausend Facetten waren von einem Licht erfüllt, das von einem Rubinlaser hätte stammen können. Der lange Kiefer und die Zahnreihen schienen Alpträumen entsprungen zu sein.
Kassad hielt sich bereit. Wenn der Hautanzug ihm dieselbe Kraft und Wendigkeit verlieh wie Moneta, dann konnte er immerhin kämpfend sterben.
Aber dazu blieb keine Zeit. Eben stand der Herr der Schmerzen noch fünf Meter entfernt auf den schwarzen Kacheln – und im nächsten Augenblick befand er sich neben Kassad, umklammerte den Oberarm des Oberst mit einem stahlharten Klammergriff, der durch das Feld des Hautanzugs drang und Blut aus dem Bizeps presste.
Kassad verkrampfte sich, wartete auf den Schlag und war fest entschlossen, sich zu wehren, auch wenn das bedeutete, dass er sich auf Dornen, Stacheln und Stacheldraht aufspießen würde.
Das Shrike hob die rechte Hand, worauf ein vier Meter breites rechteckiges Feldportal sichtbar wurde. Es glich einem Farcasterportal, abgesehen von dem violetten Leuchten, das das Innere des Monolithen mit einem hellen Schein erfüllte.
Moneta nickte ihm zu und ging durch. Das Shrike kam näher, seine Fingerklingen schnitten nur behutsam in Kassads Oberarm.
Kassad überlegte sich, ob er zurückweichen sollte, aber seine Neugier war stärker als der Wunsch zu sterben, also trat er mit dem Shrike durch das Portal.
18
Präsidentin Meina Gladstone konnte nicht schlafen. Sie stand auf, zog sich in ihrem dunklen Apartment tief im Innern des Regierungshauses rasch an und begann, wie sie das öfter tat, wenn sie nicht einschlafen konnte, über die Welten zu wandern.
Ihr privates Farcasterportal erwachte pulsierend zum Leben. Gladstone ließ ihre menschlichen Leibwächter im Vorzimmer sitzen und nahm nur eine Mikrofernsonde mit. Sie hätte gar nichts mitgenommen, wenn es die Gesetze der Hegemonie und die Vorschriften des TechnoCore zugelassen hätten, aber das war nicht der Fall.
Auf TC 2 war es lange nach Mitternacht, aber sie wusste, auf zahlreichen Welten würde Tageslicht herrschen, daher trug sie ein langes Kleid mit einem Nicht-stören-Kragen von Renaissance. Ihre Hose und Stiefel verrieten weder Geschlecht noch Status, aber an manchen Orten mochte allein schon die Qualität des Capes auffallen.
Präsidentin Gladstone trat durch das Einwegportal und spürte die Mikrofernsonde mehr als sie sie sah oder hörte, während diese ihr folgte, höher stieg und unsichtbar wurde – und Gladstone auf den Platz von St. Peter im Neuen Vatikan auf Pacem trat. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, warum sie mit ihrem
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