Die Hyperion-Gesänge
Reservoire sind verseucht. Wir gehen zum Keep.«
Silenus spürte, wie ihn die unerträgliche Arroganz dieser Frau in Wut versetzte, ihre selbstgerechte Annahme, sie könne in jeder Situation den Befehl übernehmen. »Ich gehe nachsehen« , sagte er. »Könnte sein, dass wir dadurch einige Stunden Zeit einsparen.«
Lamia stellte sich zwischen ihn und die Sonne. In ihren schwarzen Locken leuchtete die Korona der Eklipse. »Nein. Wenn wir dort Zeit vergeuden, werden wir nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein.«
»Dann gehen Sie doch weiter«, fauchte der Dichter, den seine Worte selbst überraschten. »Ich bin müde. Ich werde im Lagerhaus hinter der Gemeinschaftshalle nachsehen. Vielleicht kann ich mich an Vorräte erinnern, die die Pilger nicht gefunden haben.«
Er beobachtete, wie sich der Körper der Frau verkrampfte, als sie darüber nachdachte, ob sie ihn auf die Füße ziehen und zu den Dünen zurückschleifen sollte. Sie hatten kaum mehr als ein Drittel der Strecke zum Vorgebirge zurückgelegt, wo
der steile Aufstieg über die Treppe zum Keep anfing. Sie entspannte die Muskeln. »Martin«, sagte sie, »die anderen verlassen sich auf uns. Bitte vermasseln Sie es nicht.«
Er lachte und lehnte sich an die umgestürzte Säule. »Drauf geschissen«, sagte er. »Ich bin müde. Sie wissen, dass Sie sowieso fünfundneunzig Prozent der Last schleppen müssen. Ich bin alt . Älter, als Sie sich vorstellen können. Lassen Sie mich bleiben und eine Weile ausruhen. Vielleicht finde ich ein wenig Nahrung. Vielleicht komme ich ein wenig zum Schreiben.«
Lamia kauerte sich neben ihn und berührte seinen Rucksack. »Das haben Sie bei sich. Die Seiten Ihres Gedichts. Ihre Gesänge .«
»Selbstverständlich«, sagte er.
»Und Sie denken immer noch, die Nähe des Shrike wird es Ihnen ermöglichen, sie zu vollenden?«
Silenus zuckte mit den Achseln und spürte, wie Hitze und Schwindelgefühl um ihn herumwirbelten. »Das Ding ist ein Scheißkiller, ein Edelstahlgrendel, der in der Hölle geschmiedet wurde«, sagte er, »aber es ist meine Muse.«
Lamia seufzte, blickte blinzelnd zur Sonne, die bereits den Bergen entgegensank, und dann zum Tal zurück, von wo sie gekommen waren. »Kehren Sie um«, sagte sie leise. »Ins Tal.« Sie zögerte einen Augenblick lang. »Ich gehe mit Ihnen und breche dann noch einmal auf.«
Silenus lächelte mit rissigen Lippen. »Weshalb zurück? Um mit den drei anderen alten Männern Cribbage zu spielen, bis unser Monsterchen kommt und uns aufwischt? Nein, danke, lieber ruhe ich hier eine Weile aus und arbeite. Gehen Sie weiter, Frau. Sie können mehr tragen als drei Dichter.« Er mühte sich aus den leeren Rucksäcken und Feldflaschen und gab sie ihr.
Lamia hielt das Durcheinander von Gurten in einer Faust,
die so kurz und hart wie ein Stahlhammer war. »Sind Sie sicher? Wir könnten langsamer gehen.«
Silenus mühte sich auf die Beine, da ihm für einen Augenblick die nackte Wut über ihr Mitleid und ihre Herablassung erboste. »Hol dich der Teufel und dein Pferd, auf dem du hergeritten bist, Lusian. Falls Sie es vergessen haben, Sinn der Pilgerfahrt war es, hierherzukommen und das Shrike zu besuchen. Ihr Freund Hoyt hat das nicht vergessen. Kassad hatte das Spiel verstanden. Das elende Shrike kaut wahrscheinlich in diesem Augenblick auf seinen dummen Soldatenknochen herum. Es würde mich nicht überraschen, wenn die drei Daheimgebliebenen jetzt schon kein Essen und Wasser mehr brauchen würden. Gehen Sie. Los doch, ziehen Sie Leine! Ich kann Ihre Gegenwart nicht mehr ertragen!«
Brawne Lamia blieb noch einen Moment lang geduckt stehen und sah zu ihm auf, wie er über ihr aufragte. Dann stand sie auf, berührte ihn kurz an der Schulter, schwang Rucksäcke und Flaschen auf den Rücken und lief so schnell davon, dass er nicht einmal in seiner Jugend mit ihr hätte Schritt halten können. »Ich komme in ein paar Stunden wieder hier vorbei« , rief sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. »Seien Sie hier an diesem Stadtrand. Wir kehren gemeinsam zu den Gräbern zurück.«
Martin Silenus sagte nichts, während er sah, wie sie kleiner wurde und schließlich im unebenen Gelände im Südwesten verschwand. Die Berge flimmerten in der Hitze. Er blickte nach unten und stellte fest, dass sie ihm die Wasserflasche gelassen hatte. Er spie aus, hob die Flasche auf und schritt den wartenden Schatten der toten Stadt entgegen.
20
Duré brach fast zusammen, während sie die beiden letzten Rationen zu
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