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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nachsehen«, sagte der Konsul. »Dann müssen wir ein Leuchtfeuer oder so etwas entfachen, das ihnen hilft, den Rückweg zu finden.«
    Der Konsul war die Hälfte der Stufen zum Weg hinuntergegangen, als Sol aufstand und mit dem Finger deutete. Nicht zum Ende des Tals, das im schrägen Sonnenschein leuchtete, sondern in die andere Richtung, in den Schatten des Tales selbst.
    Der Konsul blieb stehen, die beiden anderen Männer gesellten sich zu ihm. Der Konsul griff in die Tasche und holte den kleinen Nervenschocker heraus, den Kassad ihm vor einigen Tagen gegeben hatte. Da Lamia und Kassad fort waren, war dies ihre einzige Waffe.
    »Sehen Sie?«, flüsterte Sol.
    Die Gestalt bewegte sich in der Dunkelheit hinter dem schwachen Leuchten des Jadegrabs. Sie sah nicht so groß aus wie das Shrike und bewegte sich auch nicht so schnell; sie ging merkwürdig langsam, blieb manchmal für einen Augenblick stehen, winkte.
    Pater Duré sah über die Schulter zum Eingang des Tals, dann wieder zurück. »Könnte Martin Silenus das Tal in dieser Richtung betreten haben?«
    »Nur wenn er die Felswände heruntergesprungen ist«, flüsterte der Konsul. »Oder wenn er einen Umweg von acht Klicks nach Nordosten gemacht hat. Außerdem ist er zu groß für Silenus.«

    Die Gestalt verharrte wieder, winkte und fiel hin. Aus mehr als hundert Meter Entfernung sah sie wie ein flacher Felsbrocken auf dem Talboden aus.
    »Kommt!«, sagte der Konsul.
    Sie liefen nicht. Der Konsul ging voran die Treppe hinunter, hielt den Schocker ausgestreckt und hatte ihn auf zwanzig Meter eingestellt, obwohl er wusste, die Schockwirkung würde auf diese Entfernung minimal sein. Pater Duré folgte ihm dichtauf und hielt Sols Kind, während der Gelehrte nach einem kleinen Stein suchte.
    »David und Goliath?«, fragte Duré, als Sol mit einem handtellergroßen Felsstück zurückkam, das er in die Fiberplastikschlinge legte, die er am Nachmittag aus einer Verpackung geschnitten hatte.
    Das sonnenverbrannte Gesicht des Gelehrten über dem Bart wurde dunkler. »So ähnlich. Hier, ich bringe Rachel zurück.«
    »Ich trage sie gern. Und falls es zu einem Kampf kommen sollte, wäre es besser, wenn Sie beide freie Hand hätten.«
    Sol nickte, überbrückte die Distanz und ging neben dem Konsul; der Priester mit dem Kind fiel einige Schritte zurück.
    Aus fünfzehn Metern Entfernung war unübersehbar, dass es sich bei der gestürzten Gestalt um einen Menschen handelte  – einen sehr großen Mann –, der ein derbes Gewand trug und mit dem Gesicht nach unten im Sand lag.
    »Bleiben Sie hier«, sagte der Konsul und lief los. Die anderen sahen zu, wie er die Gestalt herumdrehte, den Schocker wieder in die Tasche steckte und eine Wasserflasche vom Gürtel nahm.
    Sol ging langsam hin und spürte seine Erschöpfung als eine Art angenehmes Schwindelgefühl. Duré folgte noch langsamer.
    Als der Priester den Lichtkreis betrat, den die Handlampe des Konsuls warf, sah er, dass die Kapuze des Mannes aus einem
vage asiatischen, seltsam verzerrten langen Gesicht zurückgeschlagen war, das das Licht der Lampe ebenso beschien wie das Leuchten des Jadegrabs.
    »Ein Tempelritter«, sagte Duré, erstaunt, einen Anhänger von Muir hier zu finden.
    »Es ist die Wahre Stimme des Baums«, sagte der Konsul. »Es ist der erste unserer vermissten Pilger … Es ist Het Masteen.«
    21
    Martin Silenus hatte den ganzen Nachmittag an seinem epischen Gedicht gearbeitet, und erst als es dunkel wurde, gönnte er sich etwas Ruhe.
    Er hatte festgestellt, dass sein altes Arbeitszimmer geplündert worden war und der antike Tisch fehlte. Der Palast des Traurigen Königs Billy hatte die schlimmsten Verwüstungen hinnehmen müssen, sämtliche Fensterscheiben waren eingeworfen, Miniaturdünen waren über ausgebleichte Teppiche gewandert, die einmal ein Vermögen wert gewesen waren, Ratten und kleine Felsenaale lebten zwischen den Steintrümmern. Die Wohntürme dienten Tauben und verwilderten Jagdfalken als Heim. Schließlich war der Dichter zur Versammlungshalle gegangen, wo er unter der gewaltigen geodätischen Kuppel des Speisesaals an einem niedrigen Tisch saß und schrieb.
    Staub und Trümmer bedeckten den Keramikboden, die scharlachrote Farbe der Wüstenflechte verdeckte die zertrümmerten Scheiben fast, aber Silenus achtete nicht auf derlei Nebensächlichkeiten und arbeitete an seinen Gesängen.
    Das Gedicht handelte von der Ermordung und Verdrängung der Titanen durch ihre Nachkommen, die

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