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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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die Finger fluchend zurück. Welche Richtung?
    Der Wind flüsterte durch niedrige Salbeibüsche und Flechten. Der Konsul fühlte sich weit entfernt von den Zeitgräbern und der Bedrohung durch das Shrike, aber er spürte die Präsenz von Sol und Duré und Het Masteen und Brawne und dem vermissten Silenus und Kassad als Last auf den Schultern. Er hatte sich als letzten Akt des Nihilismus der Pilgerfahrt angeschlossen, als sinnlosen Selbstmord, um seinem Leid ein Ende zu machen, dem Leid, dass er selbst die Erinnerung an Frau und Kind verloren hatte, die während des Hegemoniefeldzugs auf Bressia gestorben waren, und dem Leid seines schrecklichen Verrats – des Verrats an der Regierung, der er fast vierzig Jahre lang gedient hatte, des Verrats an den Ousters, die ihm vertraut hatten.
    Der Konsul setzte sich auf einen Stein und spürte, wie der sinnlose Selbsthass abebbte, als er an Sol und dessen Baby dachte, die im Tal der Zeitgräber auf ihn warteten. Er dachte an Brawne, diese tapfere Frau, die Verkörperung von Energie, die hilflos dalag, während die egelartige Verlängerung des Bösen aus ihrem Schädel wuchs.
    Er ging zur Schwebematte, aktivierte sie und stieg auf achthundert Meter – so dicht an der Wolkendecke, dass er die Hand heben und sie hätte berühren können.
    Als die Wolken weit zu seiner Linken kurz aufbrachen, offenbarte das Licht ein Glitzern von Wellen. Der Hoolie lag etwa fünf Klicks südlich.
    Der Konsul steuerte die Schwebematte scharf nach links und spürte, wie die ausgelaugten Sperrfelder versuchten, ihn an die Matte zu drücken, fühlte sich aber doch sicherer mit dem Seil. Zehn Minuten später befand er sich unmittelbar über dem Wasser und steuerte nach unten, um sich zu vergewissern, dass es sich tatsächlich um den breiten Hoolie und nicht um einen Nebenfluss handelte.

    Es war der Hoolie. Leuchtende Sommerfäden blühten in den flachen, sumpfigen Gebieten am Ufer. Die hohen zinnenbewehrten Türme der Baumeisterameisen bildeten geisterhafte Silhouetten vor einem Himmel, der nur wenig dunkler war als das Land.
    Der Konsul stieg zwanzig Meter in die Höhe, trank Wasser aus seiner Flasche und sauste mit Höchstgeschwindigkeit flussabwärts.
     
    Bei Sonnenaufgang befand er sich unterhalb des Dorfs Doukhobor’s Copse, fast bei den Schleusen von Karla, wo der Königliche Transportkanal zu den nördlichen Siedlungen und der Mähne führte. Der Konsul wusste, von hier bis zur Hauptstadt waren es keine hundertfünfzig Klicks – aber bei der nervtötend langsamen Geschwindigkeit der Schwebematte waren das noch rund sieben Stunden. Er hatte gehofft, er würde an diesem Punkt der Reise einen Militärgleiter erspähen, ein Passagierluftschiff aus dem Copse von Naiad oder auch nur ein Motorboot, das er übernehmen konnte. Aber an den Ufern des Hoolies war keine Spur von Leben zu sehen, abgesehen von gelegentlichen brennenden Gebäuden oder Licht in fernen Fenstern. Sämtliche Boote waren von den Docks verschwunden. Die Mantabecken oberhalb der Schleusen waren verlassen, die großen Portale offen für die Strömung, keine Transportbarken waren an der Stelle vertaut, wo der Fluss zu doppelter Breite seines sonstigen Laufs anschwoll.
    Der Konsul fluchte und flog weiter.
    Es war ein wunderschöner Morgen, der Sonnenaufgang erhellte die tiefhängenden Wolken und hob jeden Busch und Baum im horizontalen Licht klar hervor. Dem Konsul war, als hätte er vor Monaten zum letzten Mal echte Vegetation gesehen. Werholz und Halbeichenbäume ragten auf den fernen Klippen in majestätische Höhe auf, während auf den gefluteten
Feldern der Eingeborenen grüne Schößlinge von Millionen Periskopbohnen aufragten. Frauenhainwurzeln und Feuerfarn säumten die Ufer, jeder einzelne Zweig zeichnete sich deutlich im klaren Licht des Sonnenaufgangs ab.
    Die Wolken verschluckten die Sonne. Es fing an zu regnen. Der Konsul setzte den Dreispitz auf; kauerte sich unter Kassads Ersatzmantel und flog in einer Höhe von hundert Metern südwärts.
     
    Der Konsul versuchte sich zu erinnern . Wie viel Zeit blieb dem Mädchen Rachel noch?
    Obwohl er am Tag zuvor so lange geschlafen hatte, umwölkte Müdigkeit sein Denken. Rachel war vier Tage alt gewesen, als sie im Tal eingetroffen waren. Das war … vor vier Tagen gewesen.
    Der Konsul rieb sich die Wange, griff nach einer Wasserflasche und musste feststellen, dass alle leer waren. Er hätte problemlos nach unten sinken und die Flaschen im Fluss wieder auffüllen können,

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