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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Gräbern, in die Nacht.
    »Ich bin hier«, stimmte Sol zu. »Aber nicht, um mich zu unterwerfen. Nur um zu sehen, welche Antwort diese Mächte auf meine Entscheidung haben.« Er streichelte seiner Tochter wieder den Rücken. »Rachel ist jetzt anderthalb Tage alt und wird mit jeder Sekunde jünger. Wenn das Shrike der Architekt dieser Grausamkeiten ist, dann möchte ich ihm gegenübertreten, selbst wenn es der Antichrist sein sollte. Wenn es einen Gott gibt und er das angerichtet hat, möchte ich ihm dieselbe Verachtung zeigen.«
    »Vielleicht haben wir alle so schon zu viel Verachtung gezeigt« , sagte Duré.

Sol blickte auf, als ein Dutzend stecknadelkopfgroßer Lichter
sich zu Schockwellen von Plasmaexplosionen weit draußen im All entfaltete. »Ich wünschte, wir verfügten über die Technik, Gott mit gleichen Mitteln zu bekämpfen«, sagte er mit leiser, gepresster Stimme. »Es ihm auf seinem Grund und Boden zu zeigen. Alle der Menschheit zugefügten Ungerechtigkeiten heimzuzahlen. Ihm ermöglichen, seine anmaßende Arroganz sein zu lassen oder zur Hölle gepustet zu werden.«
    Pater Duré zog eine Braue hoch, dann lächelte er verhalten. »Ich verstehe den Zorn, den Sie empfinden.« Der Priester berührte sanft Rachels Kopf. »Versuchen wir, vor Sonnenaufgang noch ein wenig zu schlafen, ja?«
    Sol nickte, legte sich neben sein Kind und zog die Decke bis zur Wange. Er hörte Duré etwas flüstern, das ein leises Gute Nacht sein mochte – oder möglicherweise ein Gebet.
    Sol streichelte seine Tochter, schloss die Augen und schlief ein.
     
    Das Shrike kam in dieser Nacht nicht. Auch am nächsten Morgen nicht, als Sonnenlicht die Felswände im Südwesten bemalte und die Spitze des Kristallmonolithen berührte. Sol erwachte, als der Sonnenschein das Tal hinabwanderte; Duré schlief neben ihm, Masteen und Brawne waren noch bewusstlos. Rachel regte sich und strampelte. Ihr Schreien war das eines hungrigen Neugeborenen. Sol holte eines der letzten Babypacks, zog den Wärmstreifen und wartete einen Moment, bis die Milch Körpertemperatur hatte; über Nacht war es kalt im Tal geworden, Frost funkelte auf den Stufen zur Sphinx.
    Rachel aß mit Heißhunger und gab die leisen Maunz- und Schmatzlaute von sich, die Sol schon vor fünfzig Jahren gehört hatte, als Sarai sie noch gestillt hatte. Als sie fertig war, ließ Sol sie aufstoßen und auf seiner linken Schulter ruhen, während er sie sanft hin und her wiegte.
    Noch anderthalb Tage.

    Sol war sehr müde. Er wurde trotz der einmaligen Poulsen-Behandlung vor einem Jahrzehnt alt. In dem Alter, als er und Sarai normalerweise von ihren elterlichen Pflichten hätten entbunden sein sollen – ihr einziges Kind an der Universität und auf einer archäologischen Ausgrabung im Outback –, hatte Rachel Merlins Krankheit bekommen, und so hatten sie bald wieder die Elternrolle übernehmen müssen. Die Kurve dieser Verpflichtungen stieg an, je älter Sol und Sarai wurden, dann war Sol allein nach dem Unfall auf Barnards Welt – und jetzt war er sehr, sehr müde. Aber dennoch, trotz allem, stellte er fest, dass er keinen einzigen Tag bereute, den er sich um seine Tochter gekümmert hatte.
    Noch anderthalb Tage.
    Pater Duré erwachte wenig später, worauf die beiden Männer aus den verschiedenen Dosen, die Brawne mitgebracht hatte, ein Frühstück zubereiteten. Het Masteen erwachte nicht, aber Duré legte ihm das vorletzte Medpack auf und der Tempelritter erhielt Flüssigkeit und IV-Nährlösungen.
    »Glauben Sie, wir sollten das letzte Medpack M. Lamia geben?« , fragte Duré.
    Sol seufzte und überprüfte nochmals ihre Komlogmonitore. »Ich glaube nicht, Paul. Laut der Anzeige hier ist der Blutzucker hoch … Ernährungswerte so, als hätte sie gerade eine anständige Mahlzeit gegessen.«
    »Aber wie?«
    Sol schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist das verdammte Ding eine Art Nabelschnur.« Er deutete auf das Kabel, das an der Stelle mit ihrem Kopf verschmolz, wo der Kortikalstecker gewesen war.
    »Und was machen wir heute?«
    Sol sah zum Himmel, der bereits zu der grünen und lapislazulifarbenen Kuppel verblasste, an die sie sich auf Hyperion gewöhnt hatten. »Wir warten«, sagte er.

     
    Het Masteen erwachte, kurz bevor die Sonne den Zenit erreichte. Der Tempelritter richtete sich starr auf und sagte: »Der Baum!«
    Duré, der unten auf und ab gegangen war, eilte die Stufen hinauf. Sol nahm Rachel, die im Schatten neben der Mauer gelegen hatte, und kam an Masteens Seite.

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