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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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versuchten den Sinn ihres aufgeregten Plapperns zu enträtseln und machten so aus dieser seltsamen Konfrontation eine vernünftige Unterhaltung.
    Es war Paul Duré. Paul Duré und nicht ein bizarrer Doppelgänger oder ein Androidenduplikat oder eine Cybrid-Rekonstruktion. Das stellte ich sicher, indem ich ihm zuhörte, ihm Fragen stellte und ihm in die Augen sah – aber am meisten, indem ich seine Hände schüttelte, ihn berührte und wusste, es war tatsächlich Pater Paul Duré.
    »Sie kennen … unglaubliche Einzelheiten meines Lebens … unserer Zeit auf Hyperion, bei den Gräbern … Aber wer sind Sie, haben Sie gesagt?«, fragte Duré schließlich.
    Nun war ich an der Reihe, ihn zu überzeugen. »Eine Cybrid-Rekonstruktion von John Keats. Ein Zwilling der Persönlichkeit, die Brawne Lamia mit sich auf die Pilgerfahrt genommen hat.«

    »Und wegen dieser gemeinsamen Persönlichkeit können Sie kommunizieren – wissen, was mit uns geschehen ist?«
    Ich war zwischen ihnen und dem Altar auf ein Knie gesunken. Ich hob beide Hände in hilfloser Frustration. »Deswegen … wegen einer Anomalie in der Megasphäre. Aber ich habe Ihrer aller Leben geträumt, habe mitgehört, wie die Pilger ihre Geschichten erzählt haben, ich konnte mithören, wie Pater Hoyt vom Leben und Sterben des Paul Duré gesprochen hat … von Ihnen .« Ich berührte seinen Arm unter der Priesterkleidung. Zur selben Zeit mit einem der Pilger im selben Raum zu sein, machte mich ein wenig schwindlig.
    »Dann wissen Sie, wie ich hierhergelangt bin«, sagte Pater Duré.
    »Nein. Ich habe zuletzt geträumt, dass Sie eines der Höhlengräber betreten haben. Dort leuchtete ein Licht. Danach weiß ich nichts mehr.«
    Duré nickte. Sein Gesicht war patrizierhafter und älter, als ich in meinen Träumen gesehen hatte. »Aber Sie kennen das Schicksal der anderen?«
    Ich seufzte. »Teilweise. Der Dichter Silenus lebt, ist aber auf den Baum der Dornen gepfählt. Kassad habe ich zuletzt gesehen, wie er das Shrike mit bloßen Händen angegriffen hat. M. Lamia ist mit meinem Keats-Konterpart durch die Megasphäre an die Peripherie des TechnoCore gereist …«
    »Er hat in dieser … dieser Schrön-Schleife überlebt?« Duré schien fasziniert zu sein.
    »Nicht mehr«, sagte ich. »Die KI-Persönlichkeit namens Ummon hat ihn getötet – die Persönlichkeit zerstört. Brawne kehrte zurück. Ich weiß nicht, ob ihr Körper überlebt hat.«
    Monsignore Edouard beugte sich zu mir. »Und was ist mit dem Konsul und dem Vater mit Kind?«
    »Der Konsul hat versucht, mit einer Schwebematte zur Hauptstadt zurückzukehren«, sagte ich, »hat aber einige Meilen
nördlich davon eine Bruchlandung gemacht. Sein Schicksal kenne ich nicht.«
    »Meilen«, sagte Duré, als würde dieses Wort Erinnerungen bei ihm wachrufen.
    »Tut mir leid.« Ich deutete in die Basilika. »Dieser Ort ruft mir die Maßeinheiten meines … früheren Lebens ins Gedächtnis.«
    »Weiter«, sagte Monsignore Edouard. »Vater und Kind.«
    Ich setzte mich erschöpft auf den kühlen Steinboden; meine Arme und Hände zitterten vor Müdigkeit. »In meinem letzten Traum hat Sol Rachel dem Shrike dargeboten. Es war Rachels Bitte. Ich konnte nicht sehen, was danach geschah. Die Zeitgräber haben sich aufgetan.«
    »Alle?«, fragte Duré.
    »Alle, die ich sehen konnte.«
    Die beiden Männer tauschten einen Blick.
    »Das ist noch nicht alles«, sagte ich und schilderte ihnen das Gespräch mit Ummon. »Ist es möglich, dass sich eine … Gottheit aus dem menschlichen Bewusstsein entwickeln könnte, ohne dass die Menschheit es bemerkt?«
    Die Blitze hatten aufgehört, aber jetzt regnete es so heftig, dass ich es sogar auf der großen Kuppel oben hören konnte. Irgendwo in der Dunkelheit quietschte eine schwere Tür, Schritte hallten und entfernten sich. Ewige Lichter in den düsteren Ecken der Basilika ergossen flackernd rotes Licht auf Wände und Wandbehänge.
    »Ich habe gelehrt, dass der Heilige Teilhard es für möglich gehalten hat«, sagte Duré müde, »aber wenn dieser Gott ein begrenztes Wesen ist, das sich auf dieselbe Weise entwickelte wie wir anderen begrenzten Wesen auch, dann nein – dann ist es nicht der Gott von Abraham und Christus.«
    Monsignore Edouard nickte. »Es gibt eine uralte Häresie …«
    »Ja«, sagte ich, »die Sozinische Häresie. Ich habe gehört, wie Pater Duré sie Sol Weintraub und dem Konsul erklärt hat. Aber
was spielt es für eine Rolle, wie sich diese … diese

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