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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Macht entwickelt hat und ob sie begrenzt ist. Wenn Ummon die Wahrheit gesagt hat, haben wir es mit einer Macht zu tun, die Quasare als Energiequellen benützt. Das ist ein Gott, der Galaxien zerstören kann, meine Herren.«
    »Aber eben ein Gott, der Galaxien zerstören kann«, sagte Duré. »Nicht der Gott.«
    Ich hörte seine Betonung deutlich. »Aber wenn er nicht begrenzt ist«, sagte ich. »Wenn es sich um den Gott totalen Bewusstseins am Punkt Omega handelt, von dem Sie geschrieben haben, wenn es sich um dieselbe Dreieinigkeit handelt, über die Ihre Kirche schon seit der Zeit vor Thomas von Aquin theoretisiert, und wenn ein Teil dieser Dreieinigkeit rückwärts durch die Zeit geflohen ist … ins Jetzt. Was dann?«
    »Aber wovor geflohen?«, fragte Duré leise. »Teilhards Gott … der Gott der Kirche … unser Gott wäre der Gott am Punkt Omega, in dem der Christus der Evolution, das Persönliche und das Universelle, was Teilhard das En Haut und das En Avant nannte, vollkommen vereint. Es könnte nichts so Bedrohliches geben, dass ein Element der Persönlichkeit dieser Gottheit fliehen müsste. Kein Antichrist, keine theoretische satanische Macht, kein ›Gegen-Gott‹ könnte für so ein universelles Bewusstsein eine Bedrohung sein. Was sollte dieser andere Gott sein?«
    »Der Gott der Maschinen?«, sagte ich so leise, dass nicht einmal ich selbst sicher war, ob ich es ausgesprochen hatte.
    Monsignore verschränkte beide Hände ineinander, was ich als Vorbereitung zum Gebet interpretierte, wie sich herausstellte aber eine Geste tiefen Nachdenkens und noch tieferer Anteilnahme war. »Aber Christus hatte Zweifel«, sagte er. »Christus schwitzte Blut im Garten und bat, der Kelch solle an ihm vorübergehen. Wenn ein zweites Opfer im Spiel war, etwas noch Schrecklicheres als die Kreuzigung, dann könnte
ich mir durchaus vorstellen, dass die Christuseinheit der Dreieinigkeit durch die Zeit reist, durch einen vierdimensionalen Garten Gethsemane wandert, um ein paar Stunden – oder Jahre  – Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.«
    »Etwas Schrecklicheres als die Kreuzigung«, wiederholte Duré heiser flüsternd.
    Monsignore Edouard und ich sahen den Priester an. Duré hatte es vorgezogen, an einem Teslabaum auf Hyperion gekreuzigt zu werden, als sich dem Parasiten der Kruziform zu unterwerfen. Durch die Fähigkeit dieser Kreatur zur Wiederauferstehung hatte Duré viele Male die Qual von Kreuzigung und Tod durch Elektrizität erdulden müssen.
    »Wovor das En-haut -Bewusstsein auch fliehen mag«, flüsterte Duré, »muss überaus schrecklich sein.«
    Monsignore Edouard berührte seinen Freund an der Schulter. »Paul, erzähl dem Mann von deiner Reise hierher.«
    Duré kehrte von dem fernen Ort zurück, an den ihn seine Erinnerungen geführt hatten, und konzentrierte sich auf mich. »Sie kennen unsere sämtlichen Geschichten und die Einzelheiten unseres Aufenthalts im Tal der Zeitgräber auf Hyperion?«
    »Ich glaube schon. Bis zu dem Punkt, wo Sie verschwunden sind.«
    Der Priester seufzte und griff sich mit langen, leicht zitternden Fingern an die Schläfen. »Dann können Sie vielleicht«, sagte er, »aber nur vielleicht, den Sinn hinter dem erkennen, wie ich hierhergelangt bin … und was ich unterwegs gesehen habe.«
     
    Ich sah ein Licht im dritten Höhlengrab, sagte Pater Duré. Ich ging hinein. Ich muss gestehen, dass mir der Gedanke an Selbstmord durch den Kopf ging, durch das, was nach der brutalen Reproduktion durch die Kruziform von meinem Verstand übriggeblieben war – ich will die Funktion des Parasiten nicht mit dem Wort Wiederauferstehung adeln.

    Ich sah ein Licht und glaubte, es wäre das Shrike. Ich hatte das Gefühl, dass meine zweite Begegnung mit der Kreatur – die erste fand vor Jahren im Labyrinth unter der Kluft statt, als das Shrike mir die unheilige Kruziform aufbürdete –, längst überfällig war.
    Als wir tags zuvor nach Oberst Kassad gesucht hatten, war dieses Höhlengrab kurz und konturlos gewesen, eine kahle Felswand hatte uns nach dreißig Schritten den Weg versperrt. Jetzt war diese Wand verschwunden und eine Steinmetzarbeit prangte an ihrer statt, die dem Maul des Shrike nicht unähnlich war, Stalagmiten und Stalaktiten so scharf wie Kalziumkarbonatzähne.
    Hinter diesem Mal verlief eine Treppe aus Stein nach unten. Aus den Tiefen strömte das Licht hellweiß und im nächsten Augenblick blutrot. Kein Laut war zu hören, abgesehen vom Seufzen des Windes, als würden die

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