Die Hyperion-Gesänge
Blättern ringsum.
Die Tempelritter erwarteten ihn, als er von dem privaten Farcasterportal heruntertrat. Duré konnte den Rand der Werholzplattform fünf Meter rechts von sich sehen und dahinter nichts – oder besser gesagt alles, da die Baumkronenwelt von God’s Grove sich in weite Fernen bis zum Horizont erstreckte und das Dach der Blätter wie ein lebender Ozean glänzte und wogte. Duré wusste, dass er sich hoch oben auf dem Weltbaum befand, dem höchsten und heiligsten aller Bäume, die die Tempelritter in Ehren hielten.
Die Tempelritter, die ihn begrüßten, waren bedeutend in der komplizierten Hierarchie der Bruderschaft Muirs, fungierten nun aber lediglich als Eskorte, die ihn von der Portalplattform zu einem von Weinreben überwucherten Fahrstuhl brachten, der durch obere Geschosse und Terrassen fuhr, die kaum ein Nicht-Tempelritter je gesehen hatte, und dann wieder hinaus und eine lange Treppe mit einem Geländer aus feinstem Muirholz hinauf, die spiralförmig um einen Stamm herumführte, der sich von zweihundert Metern am Ansatz auf weniger als acht Meter an der Spitze verjüngte. Die Werholzplattform war mit kostbaren Schnitzereien verziert; das Geländer wies ein fein ziseliertes Muster von handgeschnitzten Reben auf, auf Pfosten und Balustraden prangten die Gesichter von Gnomen und Waldgeistern, Feen und anderen Fabelwesen, Tisch und Stühle, denen sich Duré nun näherte, waren aus demselben Holz geschnitzt wie die kreisrunde Plattform selbst.
Zwei Männer erwarteten ihn. Mit dem ersten hatte Duré gerechnet: Wahre Stimme des Weltbaums, Hohepriester des Muir, Sprecher der Bruderschaft der Tempelritter Sek Hardeen. Der zweite Mann überraschte ihn. Duré bemerkte den Talar – rot wie arterielles Blut, mit Besatz aus schwarzem Hermelin –, den gedrungenen lusischen Körper unter diesem Talar, das Gesicht, das nur aus Kiefer und Fettwülsten zu bestehen schien und von einer prachtvollen Hakennase geteilt wurde, zwei winzige Äuglein, verloren über feisten Wangenwülsten, zwei Patschhände mit einem schwarzen oder roten Ring an jedem Wurstfinger. Duré wusste, dass er den Bischof der Kirche der Letzten Buße vor sich sah – den Hohepriester des Shrike-Kults.
Der Tempelritter stand auf – er war fast zwei Meter groß – und streckte die Hand aus. »Pater Duré, wir sind höchst erfreut, dass Sie zu uns kommen konnten.«
Duré schüttelte ihm die Hand und dachte dabei, wie wurzelähnlich die Hände des Tempelritters mit ihren langen, knorrigen
braungelben Fingern doch waren. Die Wahre Stimme des Weltbaums trug dieselbe Kapuzenrobe wie Het Masteen, und das braune und grüne Tuch stand in krassem Gegensatz zu den Prunkgewändern des Bischofs.
»Danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen, M. Hardeen« , sagte Duré. Die Wahre Stimme war geistiger Führer von Millionen Anhängern des Muir, aber Duré wusste, dass den Tempelrittern Titel oder Ehrerbietungen in Unterhaltungen missfielen. Er nickte in Richtung des Bischofs. »Eure Exzellenz, ich hatte keine Ahnung, dass mir die Ehre Ihrer Anwesenheit zuteilwerden würde.«
Der Bischof des Shrike-Kults nickte fast unmerklich. »Ich weilte zu Besuch. M. Hardeen hat angedeutet, es könnte von geringem Nutzen sein, wenn ich an dem Treffen teilnehme. Ich bin hocherfreut, Sie kennenzulernen, Pater Duré. Wir haben in den vergangenen Jahren viel von Ihnen gehört.«
Der Tempelritter deutete auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Muirholztischs, und Duré setzte sich, faltete die Hände auf der polierten Tischplatte und dachte hektisch nach, während er so tat, als würde er die wunderschöne Maserung des Holzes bewundern. Die Hälfte aller Behörden im Netz suchte nach dem Bischof des Shrike-Kults; seine Anwesenheit deutete auf weit größere Komplikationen hin, als der Jesuit je vermutet hätte.
»Finden Sie es nicht auch interessant«, sagte der Bischof, »dass drei der bedeutendsten Religionen der Menschheit heute hier versammelt sind?«
»Ja«, sagte Duré. »Bedeutend, aber kaum repräsentativ für den Glauben der Mehrheit. Von mehr als hundertfünfzig Milliarden Seelen kann die katholische Kirche nicht einmal eine Million für sich beanspruchen. Die Kirche des Shri… der Letzten Buße möglicherweise fünf bis zehn Millionen. Und wie viele Tempelritter gibt es, M. Hardeen?«
»Dreiundzwanzig Millionen«, sagte der Tempelritter leise. »Aber zahllose weitere Menschen unterstützen unsere ökologischen Anliegen und möchten
Weitere Kostenlose Bücher