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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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dessen war er ganz sicher. Eine weite Ebene dehnte sich zu einem Horizont hin aus, der viel weiter entfernt war als Logik oder Erfahrung zulassen wollten. Niedriges, orangefarbenes Gras – wenn es Gras war – wuchs im Flachland und auf den sanften Hügeln wie Flaum auf dem Rücken einer Riesenraupe, während etwas, möglicherweise Bäume, wie Skulpturen aus Karbid wuchs – Stämme und Äste erinnerten in ihrer barocken Unmöglichkeit an Escher, das Laub war ein Durcheinander aus dunkelblauen und violetten Ovalen, die einem Himmel entgegenwuchsen, in dem Licht pulsierte.
    Aber kein Sonnenlicht. Noch während Moneta ihn von dem Portal wegtrug, das sich wieder schloss – Kassad betrachtete es nicht als Farcaster, da er sicher war, es hatte sie nicht nur
durch den Raum, sondern auch durch die Zeit transportiert –, auf einen Hain dieser unmöglichen Bäume zu, richtete Kassad den Blick himmelwärts und empfand etwas, das Staunen gleichkam. Es war so hell wie der Tag auf Hyperion; so hell wie der Mittag in einer Einkaufspassage auf Lusus; so hell wie ein Mittsommertag auf dem Tharsis-Plateau von Kassads trockenem Heimatplaneten Mars, aber dies war kein Sonnenlicht – der Himmel war voll von Sternen und Sternbildern und Sternhaufen und einer Galaxis, so dicht gepackt mit Sonnen, dass fast keine dunklen Stellen zwischen den Lichtern zu sehen waren. Es war, dachte Kassad, als befände man sich in einem Planetarium mit zehn Projektoren. Wie im Zentrum der Galaxis.
    Im Zentrum der Galaxis …
    Eine Gruppe Männer und Frauen in Hautanzügen trat aus dem Schatten der Escher-Bäume und bildete einen Kreis um Kassad und Moneta. Einer der Männer – ein Riese selbst nach Kassads marsianischem Standard – sah ihn an, hob den Kopf Richtung Moneta, und obwohl Kassad nichts hören und über Funk- und Richtstrahlempfänger des Anzugs nichts wahrnehmen konnte, wusste er, dass sich die beiden unterhielten.
    »Leg dich zurück«, sagte Moneta und ließ ihn in das samtweiche orangefarbene Gras gleiten. Er bemühte sich zu sprechen, sich aufzurichten, aber sie und der Riese legten ihm beide eine Hand auf die Brust, so ließ er sich zurücksinken und sah nur noch die langsam wogenden violetten Blätter und den Himmel voller Sterne.
    Der Mann berührte ihn wieder, und Kassads Hautanzug wurde deaktiviert. Er versuchte sich aufzurichten, versuchte sich zu bedecken, als ihm klar wurde, dass er nackt vor der kleinen Gruppe lag, die sich versammelt hatte, aber Monetas fester Griff hielt ihn zurück. Durch Schmerz und Orientierungslosigkeit merkte er vage, wie der Mann seine aufgeschlitzten Arme und die Brust berührte und eine silberumhüllte Hand
das Bein hinab zur durchgeschnittenen Achillessehne gleiten ließ. Der Oberst spürte die Kälte, wo der Riese ihn berührte, dann schwebte sein Bewusstsein davon wie ein Ballon, hoch über die leuchtende Ebene und die wogenden Hügel, dem soliden Baldachin der Sterne entgegen, wo eine riesige Gestalt wartete, dunkel wie eine Gewitterwolke über dem Horizont, gewaltig wie ein Berg.
    »Kassad«, flüsterte Moneta, und der Oberst schwebte zurück. »Kassad«, sagte sie wieder, berührte mit den Lippen seine Wange, und sein Hautanzug wurde wieder aktiviert und verschmolz mit ihrem.
    Oberst Fedmahn Kassad richtete sich auf. Er schüttelte den Kopf, stellte fest, dass er wieder in silberne Energie gekleidet war, und erhob sich. Er spürte keine Schmerzen mehr, spürte, wie sein Körper an einem Dutzend Stellen kribbelte, wo Verletzungen geheilt, schlimme Schnittwunden versorgt worden waren. Er verschmolz seine Hand mit dem eigenen Anzug, spürte Haut über Haut streichen, beugte das Knie und berührte die Ferse, spürte aber keine Narben.
    Kassad wandte sich an den Riesen. »Danke«, sagte er, ohne zu wissen, ob der Mann ihn hören konnte.
    Der Riese nickte und ging zu den anderen zurück.
    »Er ist … eine Art Doktor«, sagte Moneta. »Ein Heiler.«
    Kassad hörte sie nur halb, da er sich auf die anderen Menschen konzentrierte. Sie waren Menschen – das wusste er tief in seinem Herzen –, aber die Vielfalt war erstaunlich: Ihre Hautanzüge waren nicht allesamt silbern wie seiner und der von Moneta, vielmehr durchliefen sie alle Farben des Spektrums, aber jede so weich und organisch wie das Fell eines lebenden Wildtiers. Lediglich das subtile Energieflimmern und die unscharfen Gesichtszüge verrieten die Oberfläche der Hautanzüge. Ihre Anatomie war ebenso vielfältig wie ihre Farben:

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