Die Hyperion-Gesänge
Core lediglich mit den Farcastern spielen und einen kleinen »Fehler« bei der Zieleinrichtung zulassen …
Und wenn schon, dachte Meina Gladstone und ging durch, um in der Krankenstation des Regierungshauses mit Paul Duré zu sprechen.
39
Die beiden Zimmer im ersten Stock des Hauses an der Piazza di Spagna sind klein, schmal, die Decken hoch, und es ist – abgesehen von einer winzigen Lampe, die in jedem Zimmer brennt, als wäre sie von Gespenstern in Erwartung anderer Gespenster angezündet worden – ziemlich dunkel. Mein Bett steht im kleineren der beiden Zimmer: dem mit Blick auf die Piazza, obwohl man an diesem Abend durch die hohen Fenster nur Dunkelheit sehen kann, die von schwärzeren Schatten durchdrungen ist und vom unablässigen Plätschern von Berninis Springbrunnen untermalt wird.
Glocken läuten stündlich in einem der beiden Türme von Santa Trinita dei Monti, der Kirche, die in der Dunkelheit kauert wie eine große, sprungbereite Katze auf der Treppe draußen, und jedes Mal, wenn ich die Glocken die frühen Morgenstunden verkünden höre, denke ich an Geisterhände, die an verfaulenden Glockenseilen ziehen. Oder möglicherweise verfaulende Hände, die geisterhafte Glockenseile ziehen; ich weiß nicht, welches Bild meiner makabren Fantasie in dieser Nacht eher entspricht.
Heute Nacht drückt mich das Fieber nieder wie eine klamme, schwere, erstickende, vollgesogene Decke. Meine Haut brennt abwechselnd oder fühlt sich klamm an. Zweimal haben
mich Hustenanfälle geschüttelt; beim ersten kam Hunt vom Sofa in seinem Zimmer hereingestürzt, und ich sah, wie er mit erschrocken aufgerissenen Augen das Blut betrachtete, das ich auf die Damastdecke erbrochen hatte; den zweiten Anfall habe ich, so gut ich es vermochte, unterdrückt und mich zur Schüssel auf dem Waschtisch geschleppt, wo ich kleinere Mengen schwarzes Blut und dunklen Schleim gehustet habe. Beim zweiten Mal ist Hunt nicht aufgewacht.
Wieder hier zu sein. Den ganzen Weg zu diesen dunklen Zimmern, diesem trostlosen Bett zurückgelegt zu haben. Ich kann mich halb erinnern, wie ich hier erwacht bin, auf wundersame Weise geheilt, während der »echte« Severn und Dr. Clark und sogar die kleine Signora Angeletti im Nebenzimmer warteten. Diese Periode der Rekonvaleszenz vom Tod; diese Periode der Erkenntnis, dass ich nicht Keats war, mich nicht auf der wahren Erde befand, dass dies nicht das Jahrhundert war, in dem ich am Abend zuvor die Augen zugemacht hatte – dass ich kein Mensch war.
Irgendwann nach zwei schlafe ich ein, und schlafend träume ich. Einen Traum, den ich noch nie zuvor gehabt habe. Ich träume, dass ich langsam durch die Dateiebene steige, durch die Datensphäre, in und durch die Megasphäre und schließlich an einen Ort gelange, den ich nicht kenne, von dem ich nie geträumt habe – einem Ort unendlicher Räume, langsamer, unbeschreiblicher Farben, einem Ort ohne Horizonte, ohne Decke, ohne Boden oder feste Flächen, die man als Boden bezeichnen könnte. In Gedanken bezeichne ich ihn als Metasphäre, denn ich spüre sofort, dass diese Ebene der konsensuellen Wirklichkeit sämtliche Varianten und Mannigfaltigkeiten von Empfindungen umfasst, die ich auf Erden erlebt hatte, alle Binäranalysen und intellektuellen Freuden, die ich verspürte, wenn ich vom TechnoCore durch die Datensphäre
schwebte, und vor allem ein Gefühl von … von was? Weite? Freiheit? Potential könnte das Wort sein, nach dem ich suche.
Ich bin allein in dieser Metasphäre. Farben schweben über mir, unter mir, durch mich hindurch … Manchmal verblassen sie zu vagen Pastelltönen, manchmal ballen sie sich zu wolkengleichen Fantasiegebilden zusammen, und ab und zu, selten, scheinen sie solidere Formen zu bilden, Umrisse, klare Gebilde, deren Äußeres menschlich sein könnte oder auch nicht – ich betrachte sie, wie ein Kind Wolken ansehen und sich Elefanten, Nilkrokodile und große Kanonenboote vorstellen könnte, die an einem Frühlingstag im Lake District von Westen nach Osten pflügen.
Nach einer Weile höre ich Geräusche: das nervtötende Plätschern von Berninis Brunnen, Tauben, die auf den Simsen über meinem Fenster rascheln und gurren, Leigh Hunt, der leise im Schlaf stöhnt. Doch über und unter diesen Geräuschen höre ich etwas Verstohleneres, nicht so Reales , aber unendlich Bedrohlicheres.
Etwas Großes kommt auf leisen Sohlen. Ich versuche durch die pastellfarbene Düsternis zu sehen; etwas bewegt sich dicht hinter dem
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